ASIEN/JAPAN - “Es geht immer um Geld”: Erzbischof Tarcisius Isao Kichuchi über die Gründe für Konflikte und Wettrüsten

Montag, 8 April 2024 ortskirchen   waffen   caritas   märtyrer   jugendliche  

Von Victor Gaetan*

Erzbischof Tarcisius Isao Kikuchi (65) bekleidet eine erstaunliche Anzahl von Schlüsselpositionen, und doch ist er so bescheiden wie ein Kirchenpförtner.
Er ist Präsident von Caritas Internationalis, Generalsekretär der Föderation der asiatischen Bischofskonferenzen, Vorsitzender der japanischen Bischofskonferenz... Aber er tut so, als ob nichts wäre.
„Sie wissen ja, wie das läuft: Hervorragende Leute machen die eigentliche Arbeit, die harte Arbeit, und ich bin eine Art Statthalter, der reinkommt und 'dieses Ja' oder 'dieses Nein' sagt", betont er und lächelt.
Am Vorabend seiner Abreise nach Rom, wo er die japanischen Bischöfe bei ihrem Ad-limina-Besuchs begleitet und mit Papst Franziskus zusammentreffen wird, saßen Erzbischof Kikuchi und ich in einem einfachen Sitzungssaal der „St. Mary's Cathedral“ zusammen, einer imposanten modernen Kirche aus dem Jahr 1964. Ohne Personal, ohne vorgefertigte "Regeln", ohne Unterbrechungen, für eineinhalb Stunden des Gesprächs.
Es folgen Auszüge aus dem Gespräch mit dem Mann, der 2004 von Papst Johannes Paul II. zum Bischof von Niigata ernannt wurde und heute als Erzbischof von Tokio ganz im Sinne von Papst Franziskus seelsorgerisch tätig ist.

Was ist Ihr Traum als Präsident von Caritas Internationalis, um deren Arbeit zu verbessern?

TARCISIUS ISAO KIKUCHI: Ich arbeite seit 1995 mit der Caritas zusammen: Als ich bereits Priester war, war ich als Freiwilliger in Flüchtlingslagern in der heutigen Demokratischen Republik Kongo tätig. Später war ich Direktor von Caritas Japan. Ich kenne Caritas Internationalis also schon sehr lange.
Mein Traum ist es, dass es unter den Mitgliedern der Caritas nicht immer das Problem zwischen den "Haves" und den "Have Nots" gibt. Man muss sich vor Augen halten, dass die Caritas keine große Nichtregierungsorganisation ist. Sie ist ein Zusammenschluss nationaler Caritas-Organisationen, die in jedem Land, d.h. in mehr als 160 Ländern und Territorien, vertreten sind. Daher sind die Caritas-Organisationen sehr unterschiedlich. Einige Caritas-Organisationen, wie die in den Vereinigten Staaten und Europa, verfügen über ausreichende Mittel, während andere, wie die in Afrika und Asien, keine haben.
Wir sprechen immer von "Zusammenarbeit" und der Tatsache, dass wir in "Partnerschaft" arbeiten müssen. Das bedeutet, dass alle gleichberechtigt sein und wie Brüder und Schwestern zusammenarbeiten sollten. Aber das ist nicht der Fall!
Die Realität ist immer dieselbe: Diejenigen, die das Geld haben, herrschen über diejenigen, die es erhalten. Das schafft manchmal ein Problem. Deshalb möchte ich eine echte Partnerschaft zwischen den Mitgliedsorganisationen einführen bzw. fördern.

Sie gehören der Gesellschaft des Göttlichen Wortes an und waren der erste japanische Missionar in Afrika, wo Sie sieben Jahre lang als Pfarrer in Ghana tätig waren. Inwiefern beeinflusst diese Missionserfahrung die Art und Weise, wie Sie Ihre derzeitigen Aufgaben wahrnehmen? Welche Lehren aus dieser Zeit sind Ihnen geblieben?

KIKUCHI: Man muss den Menschen zuhören. Und man darf nichts aufzwingen.
Ghana war eine britische Kolonie, aber Englisch ist nicht das Hauptkommunikationsmittel. Es gibt viele lokale Sprachen und damit auch viele lokale Kulturen. Ich war dort, ein Missionar, der Englisch sprach, und es war sehr schwierig, sich zu verständigen. Ich lernte die lokale Sprache eines kleinen Stammes, aber vor allem lernte ich, dass ich, um ein guter Seelsorger zu sein, den Menschen zuhören, beobachten, was sie tun, verstehen, was sie denken, und dabei den Menschen nie etwas aufdrängen sollte.
Das habe ich gelernt, und jeden Tag habe ich etwas Neues entdeckt. Im Kongo war es dasselbe, denn ich spreche kein Französisch. Ich ging dorthin und alle sprachen Französisch, auch die Flüchtlinge aus Ruanda. Also musste ich einen Dometscher dazunehmen, der mir half!

Ich weiß, dass die Themen der Gespräche mit dem Papst vertraulich bleiben, aber können Sie einige der Anliegen der japanischen Bischöfe nennen, die mit dem Papst während Ihres Ad-Limina-Besuchs besprochen werden sollen?

KIKUCHI: Es ist das erste Mal, dass wir den Heiligen Vater treffen, seit er im November 2019 Japan besuchte! Das Thema des Besuchs war "Alles Leben schützen", ein Thema, das wir dem Heiligen Stuhl empfohlen haben. Dazu gehört nicht nur die Frage der Abtreibung in Japan, sondern auch die Achtung der Menschenwürde, die Abschaffung der Todesstrafe, der Betrieb von Atomkraftwerken, die die Umwelt zerstören, und andere ökologische Anliegen.
Wir wollten versuchen, eine soziale Kampagne zu diesem Thema zu organisieren, aber wegen der Pandemie kam alles zum Stillstand und wir konnten es nicht tun. Deshalb wollen wir mit dem Papst darüber sprechen. Wir können ihm sagen, dass er gekommen ist, um über den Schutz allen Lebens, die Schaffung von Frieden und die Abschaffung von Atomwaffen zu predigen, und darüber, was wir jetzt tun sollen, um den Schutz der Menschenwürde zu betonen.
Während des gesamten Lebens des Menschen, in jeder Phase, geht es um den Schutz des Lebens, den Schutz der Würde, der in Japan wirklich vernachlässigt wird. Das traditionelle Familiensystem ist im Verschwinden begriffen. Alleinerziehende kümmern sich um die Kinder, oder die Kinder werden vernachlässigt: Es gibt alle möglichen Probleme, die mit der Menschenwürde zusammenhängen. Das sind große Probleme, die wir mit dem Heiligen Vater besprechen sollten.


Ich habe gesehen, dass Sie eine starke Position gegenüber der Kriegsgefahr und der Erhöhung des Rüstungshaushalts eingenommen haben. Können Sie mir mehr dazu sagen?

KIKUCHI: Nach dem Zweiten Weltkrieg haben wir aufgrund der Ereignisse die Armee in Japan abgeschafft. In der Verfassung steht: "Keine Armee". Und doch gibt es in Japan eine Armee, so dass es jetzt einen großen Widerspruch gibt. Wir wollen nicht sagen, dass wir die Armee und die Streitkräfte abschaffen sollten. Wir brauchen eine Art von Schutz, aber im Moment ist es zu viel. Sie [die Regierung] geben zu viel Geld dafür aus. (Ermutigt durch die USA hat Japan eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben um 16,5 % - 56 Mrd. $ - für das Haushaltsjahr 2024 beschlossen, Anm. d. Red.). Sie nutzen die Ausweitung des chinesischen Einflusses als Vorwand und die Präsenz Nordkoreas als weiteren Vorwand. Natürlich sind China und Nordkorea nicht wie andere Länder, aber ich glaube nicht, dass sie eine unmittelbare Bedrohung darstellen. Vor allem mit Nordkorea gab es früher Gespräche. Ich weiß nicht, was in den Köpfen der japanischen Politiker vorgeht, aber sie wollen nicht reden, geschweige denn sich treffen. Wenn sie nicht reden, verspricht das nichts Gutes!

Ein hochrangiger Politiker sagte mir, dass die japanische Regierung ohne die Genehmigung aus Washington nichts unternehmen kann.

KIKUCHI: Das ist wahr. Höchstwahrscheinlich ist es wahr.

Die katholische Kirche Japans hat sich in bewundernswerter Weise an den Friedensbemühungen und der Bewegung für nukleare Abrüstung beteiligt. Nehmen Sie eine wachsende Bedrohung durch den Einsatz von Atomwaffen wahr? Ist dies ein Thema, das in Gesprächen mit Papst Franziskus angesprochen werden könnte?

KIKUCHI: Ehrlich gesagt, man muss davon ausgehen, dass Menschen, die bei klarem Verstand sind, die nicht verrückt sind, niemals Atomwaffen einsetzen würden, weil diese Waffen wirklich so zerstörerisch sind und nicht nur das Ziel, sondern auch das Land, das den Angriff initiiert hat, zerstören. Wenn die USA Russland angreifen und Russland zurückschießt, ist das das Ende der Welt.
Jeder weiß das, zumindest diejenigen, die nicht verrückt sind. Solange dieses Gleichgewicht der Kräfte besteht, wird wahrscheinlich niemand Atomwaffen einsetzen, aber es werden Drohungen immer als Vorwand benutzt, um neue Arsenale zu entwickeln und viel Geld für nichts auszugeben. Sie bieten keinen wirklichen Schutz, also werfen sie nur Geld in die Tonne.


In westlichen Kreisen wird die internationale geopolitische Lage als ein Kampf zwischen dem "guten" nordatlantischen Westen und vielen anderen Ländern dargestellt, die als "böse" gelten (Russland, China, Iran, Nordkorea usw.). Wie beurteilen Sie diese westliche Art der Darstellung der geopolitischen Lage der Welt und die ständige Eröffnung neuer Kriegsfronten?

KIKUCHI: Gute Frage. Früher war es ganz einfach: die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten standen im Konflikt. Aber die Sowjetunion ist verschwunden und der Konflikt geht weiter!
Ich denke, dass wir Menschen dazu bestimmt sind, ständig Konflikte zu suchen, deshalb gibt es immer wieder Kriege. Wir wollen kämpfen, um einen Sinn für unsere Existenz zu finden. Das geschieht auch jetzt. Alle sagen, es sei die Politik, aber es ist nicht nur die Politik. Das größte Problem ist wahrscheinlich das Geld: es geht um Geld, Geld, Geld.
Wenn wir uns die Realität in der Welt ansehen, dann kontrollieren nur sehr wenige Menschen mit Geld wirklich die Wirtschaft und die Politik der Welt. Und die meisten Menschen sind dieser Kontrolle unterworfen. Das Ungleichgewicht zwischen den Besitzenden und den Habenichtsen wächst also und wirkt sich auf alle politischen Probleme aus.

Die indonesische Regierung und die Bischöfe haben angekündigt, dass Papst Franziskus Anfang September Indonesien besuchen wird. Wie kann dies der gesamten Region zugutekommen?

KIKUCHI: Viele von uns schätzen es sehr, dass der Papst sich um Länder kümmert, die niemand sonst so genau verfolgt, wie Indonesien, Osttimor und die Mongolei. Er ist sehr interessiert an Asien!
Was Asien betrifft, so ist Indonesien dafür bekannt, das größte muslimische Land der Welt zu sein. Das ist sehr wichtig. Das Christentum ist durch die Verfassung geschützt, aber es gibt lokale Probleme zwischen Christen und Muslimen. Daher ist es sehr wichtig, dass der Papst in dieses Land reist. Er wird über Religionsfreiheit sprechen können, so wie er es in den Golfstaaten getan hat, und das wird eine große Wirkung haben.


Was die Religionsfreiheit anbelangt, so gaben die Christen in Japan jahrhundertelang den Glauben von Generation zu Generation weiter und tauften ihre Kinder im Stillen. Ohne Mittel, ohne Unterstützung, unter Verfolgung, und doch war der Glaube lebendig. Was sagt diese historische Erfahrung über das Wesen des christlichen Glaubens aus?


KIKUCHI: Wenn wir über Verfolgungen und Märtyrer sprechen, sehen wir immer Beispiele aus der Gegend von Nagasaki, denn Nagasaki ist berühmt als Geburtsort der katholischen Kirche in Japan. Aber es sind in ganz Japan viele Menschen für ihren Glauben getötet worden. In den nördlichen Teilen Japans, in Tokio oder in den ländlichen Gebieten Japans gab es zum Beispiel große christliche Gemeinden in den Dörfern. Die Beispiele von Märtyrern sind viele. Aber warum gab es in den nördlichen Gebieten Japans so viele Christen? Weil sich die Christen damals in der Sozialfürsorge, in der Pflege der Armen und Kranken und auch im Bildungswesen engagierten.
Während der Shogun-Periode (Japan stand von 1603 bis 1868 unter der Herrschaft des Tokugawa-Shogunats, Anm. d. Red.) war die Regierung in Tokio wirklich bestrebt, die Bildung im ganzen Land ausgehend von den buddhistischen Tempeln zu fördern. Und warum? Weil sie den christlichen Einfluss sehr fürchteten und deshalb die mit der christlichen Präsenz verbundenen Praktiken übernehmen wollten. Aus diesem Grund prägte die christliche Präsenz das soziale Wohlfahrtssystem in Japan.

Was ist von dieser Geschichte und Erfahrung der Gnade in der Kirche in Japan heute übrig geblieben?

KIKUCHI: Leider ist das Vermächtnis der Märtyrer heute in der Region Nagasaki viel stärker präsent, hier in Tokio gibt es nicht viele Menschen, die sich dafür interessieren. Wir haben keine angemessene Bildungsarbeit betrieben.


Erzählen Sie mir etwas Schönes, das Sie bei den Gläubigen in Japan beobachten.

KIKUCHI: Diese Frage erinnert mich an meinen ersten Ad-Limina-Besuch im Jahr 2007 bei Papst Benedikt XVI., der mit jedem Bischof eine Privataudienz hatte. (Franziskus hat diese Praxis geändert und trifft alle gemeinsam).
Als ich Papst Benedikt zum ersten Mal traf, fragte er mich: "Was ist Ihre Hoffnung für Ihre Diözese?". Er hat immer von Hoffnung gesprochen! Also sagte ich ihm: "Ich kann Ihnen viele hoffnungslose Geschichten erzählen, aber Hoffnung..." Dann habe ich mich an die philippinischen Immigrantinnen erinnert. Sie sind mit japanischen Bauern verheiratet. Heute haben selbst die Bauern auf dem Land keine japanischen Ehefrauen, weil nicht mehr viele Menschen Bauern sein wollen, also suchen sie sich Ehefrauen unter den Filipinas, die katholisch sind!
Diese katholischen Frauen kommen für die Bauern nach Japan und wohnen in Dörfern, in denen wir keine Kirchen haben. Das ist eine Hoffnung: Frauen, die als Missionarinnen nach Japan kommen. Kardinal Tagle, der von den Philippinen stammt, hat das Gleiche gesagt. Er ermutigt die philippinischen Migranten und Migrantinnen immer: 'Ihr seid die Missionare, von Gott gesandt!‘. Und es ist wahr.


Sowohl Papst Benedikt XVI. als auch Papst Franziskus haben oft gesagt, dass sich das Christentum durch Anziehungskraft und nicht durch Proselytismus verbreitet. Wie kann das Versprechen des Christentums auf Erlösung und Glück die japanische Jugend von heute anziehen? Und welche Faktoren sind heute ausschlaggebend für die psychologische Konditionierung japanischer Jungen und Mädchen?


KIKUCHI: Es ist entscheidend, dass wir Anziehungskraft auf junge Menschen ausüben.
Eine Antwort liegt in der Arbeit der Caritas. Seit 2011 haben wir als Reaktion auf die Erdbeben und Tsunamis im Norden Japans Teams von Freiwilligen gebildet, um die lokale Bevölkerung durch die Caritas zu unterstützen. Nichtkatholiken begannen, die jungen Freiwilligen liebevoll "Miss Caritas" oder "Mr. Caritas" zu nennen. Wir sagen also: Das ist unsere Art, Missionsarbeit in Japan zu leisten! Das zeigt, worum es der Kirche geht. Caritas ist in einem Land wie Japan sehr wichtig, um den Menschen die wahre Bedeutung dessen zu zeigen, was wir predigen.

Vielen Dank, Herr Erzbischof, für Ihre Zeit und Offenheit

(Fides 8/4/2024)
*Victor Gaetan ist leitender Korrespondent des „National Catholic Register“ und berichtet über internationale Angelegenheiten. Er schreibt auch für die Zeitschrift „Foreign Affairs“ und hat Beiträge für den „Catholic News Service“ verfasst. Sein Buch „God's Diplomats: Pope Francis, Vatican Diplomacy, and America's Armageddon“ (Rowman & Littlefield, 2021) ist im Juli 2023 als Taschenbuch erscheinen. Besuchen Sie seine Website unter VictorGaetan.org.


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