Caritas Sri Lanka
Colombo (Fides) - "Die Opfer der Anschläge von 2019 haben das Recht auf Wahrheit und Gerechtigkeit. Das ist eine Forderung, die wir nicht aufgeben dürfen und mit der wir uns auch an die zivilen Behörden und die internationalen Institutionen wenden", so Pfarrer Nicholas Subasinghe, ein srilankischer Priester, der sich für Familien einsetzt, die Opfer dieser Anschläge waren. Unterdessen kündigt die srilankische Regierung die Einrichtung einer parlamentarischen Untersuchungskommission an: Das Gremium soll untersuchen, inwiefern srilankische Geheimdienstmitarbeiter an den Anschlägen am Ostersonntag, dem 21. April 2019, beteiligt waren. Diese Anschläge, bei denen 269 Menschen, darunter 42 Ausländer aus 14 Ländern, durch mehrere Selbstmordattentate getötet wurden, richteten sich gegen drei Kirchen - zwei katholische und eine protestantische - und drei Hotels während der Osterfeierlichkeiten im Jahr 2019.
Der Staatssekretär für Verteidigung, Pramitha Tennakoon, teilte im Parlament mit, dass die Regierung beschlossen habe, eine Untersuchungskommission einzusetzen, um die in einer vom britischen Fernsehsender "Channel 4" ausgestrahlten Dokumentation enthaltenen Anschuldigungen zu untersuchen. In dem Dokumentarfilm behauptet ein Mann, ein Treffen zwischen einer lokalen, vom Islamischen Staat inspirierten Gruppe (National Thowheed Jamath) und einem hochrangigen Beamten des staatlichen Geheimdienstes organisiert zu haben: Ziel war es angeblich, einen Plan auszuarbeiten, um in Sri Lanka für Unsicherheit zu sorgen und so Gotabaya Rajapaksa den Sieg bei den Präsidentschaftswahlen in diesem Jahr zu ermöglichen. Der interviewte Hanzeer Azad Maulana (der nach Europa ausgewandert ist), war Sprecher einer Gruppe, die sich von den Rebellen der "Tamil Tigers" abspaltete, die bis 2009 im Bürgerkrieg kämpften. Maulana berichtet, dass er 2018 auf Anweisung seines damaligen Chefs, Sivanesathurai Chandrakanthan, ein Treffen zwischen von IS nspirierten Extremisten und einem hochrangigen Geheimdienstoffizier organisiert hat.
Zu dieser Zeit war Gotabaya Rajapaksa ein hochrangiger Verteidigungsbeamter und sein älterer Bruder, Mahinda Rajapaksa, unterlag bei den Wahlen 2015 nach zehn Jahren an der Macht. Nach dem sozialen und politischen Chaos, das durch die Anschläge von 2019 ausgelöst wurde, kam Gotabaya Rajapaksa tatsächlich an die Macht, bis er Mitte 2022 nach Massenprotesten, die durch die schwere Wirtschaftskrise im Land ausgelöst wurden, zum Rücktritt gezwungen wurde.
Maulana zufolge stimmte Chandrakanthan zu, die islamischen Extremisten der „Nationalen Thowheed Jamath“ in Zusammenarbeit mit bestimmten Geheimdiensten zu "benutzen", weil letztere der Meinung waren, dass "die Schaffung von Unsicherheit und die Destabilisierung der Nation der einzige Weg war, die Familie Rajapaksa wieder an die Macht zu bringen". Channel 4 berichtete, dass Maulana auch von UN-Ermittlern und europäischen Geheimdiensten zu seinen Anschuldigungen angehört worden sei.
Pro-Rajapaksa-Parlamentarier haben unterdessen die Anschuldigungen in dem Dokumentarfilm zurückgewiesen, während es in der katholischen Kirche Sri Lankas Stimmen gibt, die sich - wenn auch mit einer gewissen Skepsis - dafür aussprechen, den Wahrheitsgehalt der Anschuldigungen zu überprüfen und den eingeleiteten Ermittlungen nachzugehen.
Kardinal Malcolm Ranjith, Erzbischof von Colombo, erinnerte daran, dass die zivilen Behörden die früheren parlamentarischen und präsidialen Kommissionen, die zur Untersuchung der Anschläge eingesetzt worden waren, bisher nicht weiterverfolgt und angemessen unterstützt haben. Die katholische Kirche Sri Lankas, die bei diesen Anschlägen schwer getroffen wurde, "hofft aufrichtig, dass der Präsident und die Regierung von Sri Lanka allen Forderungen nach Gerechtigkeit nachkommen werden", denn "wenn keine transparente und aufrichtige Untersuchung eingeleitet wird, wird den Opfern nicht die Wahrheit und Gerechtigkeit zuteil werden". Vier Jahre nach den tragischen Ereignissen fordern die Gläubigen in Sri Lanka immer noch "eine transparente internationale Untersuchung, um die Wahrheit über den Angriff aufzudecken".
Während die Wahrheit über die Ereignisse von 2019 eines der Themen ist, das nie von der sozialen und politischen Agenda verschwunden ist, ist das Hauptthema, das das öffentliche Leben heute beschäftigt, der langsame Prozess der Überwindung der Wirtschaftskrise in Sri Lanka im letzten Jahr.
Laut einer aktuellen Studie des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung "in vielerlei Hinsicht gefährdet". Die Studie für den Zeitraum von 2022 bis 2023 ergab, dass 55,7 Prozent der Bevölkerung Sri Lankas, d. h. mehr als 12 Millionen Menschen, sich in einer äußerst prekären Lage befinden. Das UNDP, das 25.000 Haushalte im ganzen Land befragte, stellte Mängel in Bereichen - Bildung, Gesundheit, Lebensstandard - fest, die die Hälfte der Bevölkerung betreffen wobei und bei 12 Indikatoren, darunter Schulbesuch, Gesundheitszustand, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Verschuldung untersucht wurden.
Mehr als 12,34 Millionen der 22,16 Millionen Einwohner Sri Lankas sind von der Krise schwer betroffen und bleiben gefährdet, obwohl es Anzeichen für eine "Erholung" der Wirtschaft gibt. Viele Familien haben ihren Lebensmittelkonsum reduziert und ihre Kinder aus der Schule genommen, um die hohen Lebenshaltungskosten zu bewältigen. Der UNDP-Bericht stellt fest, dass 82 Prozent der gefährdeten Haushalte in ländlichen Gebieten leben, und fordert mehr politische Aufmerksamkeit für die Menschen, die in diesen Gebieten leben. Darüber hinaus stellt die Studie fest, dass sich ein Drittel der Bevölkerung verschuldet hat, um Grundbedürfnisse wie Nahrung, medizinische Versorgung und Bildung zu befriedigen. Zuvor hatte ein UNICEF-Bericht ein hohes Maß an Unterernährung bei srilankischen Kindern im Jahr 2022 beklagt.
Im März 2023 erhielt die Regierung in Colombo vom Internationalen Währungsfonds (IWF) ein Hilfspaket in Höhe von 3 Mrd. USD, das über einen Zeitraum von vier Jahren ausgezahlt werden soll, und Präsident Ranil Wickremesinghe versprach, die Wirtschaft des Landes wieder auf den Weg der Erholung zu bringen. Die Zahlen der Zentralbank zeigen einen Rückgang der Inflationsrate im August auf 4 % (von 6,3 % im Vormonat). Für die meisten Bürger bedeuten diese Zahlen jedoch bisher keine konkrete Erleichterung.
In Anlehnung an das Programm des Internationalen Währungsfonds hat die Regierung damit begonnen, 1,5 Millionen Familien, die als bedürftig eingestuft wurden, finanzielle Unterstützung zu gewähren. Nach Ansicht einiger zivilgesellschaftlicher Organisationen ist dieses soziale Unterstützungsprogramm jedoch völlig unzureichend, um die ernste wirtschaftliche Krisensituation zu bekämpfen, von der weit mehr Familien betroffen sind als die, die durch die Zuschüsse unterstützt werden.
(PA) (Fides 7/9/2023)