ASIEN/TÜRKEI - Neue Bestimmungen für Stiftungen: Armenischer Patriarch bringt gegenüber Präsident Edogan “Unbehagen“ zum Ausdruck

Samstag, 27 August 2022 mittlerer osten   ostkirchen   ortskirchen   religiöse minderheiten  

Istanbul (Fides) - In einem direkt an den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gerichteten Brief bringt der armenische Patriarchen von Konstantinopel, Sahak II. Masalyan, das "Unbehagen" und die wachsende Unzufriedenheit unter den Armeniern in der Türkei nach der Veröffentlichung der neuen Wahlordnung für Stiftungen, die mit nicht-muslimischen Glaubensgemeinschaften verbunden sind, und ihre Leitungsgremien erneuern müssen. Diese einzigartige Initiative soll die höchste zivile Autorität der Türkei auf die Möglichkeit aufmerksam machen, dass das wachsende Unbehagen unter den armenischen Gemeinschaften der Türkei zu einem regelrechten Boykott der Wahlverfahren führen könnte, die für die Vergabe von Leitungs- und Verwaltungsposten innerhalb jeder einzelnen Stiftung vorgesehen sind. In seinem Brief - so berichten lokale Medien, allen voran die zweisprachige türkisch-armenische Zeitung „Agos“ - schlägt Patriarch Sahak vor, allen Stiftungen klare Leitlinien zukommen zu lassen, in denen die Kriterien für die Einreichung von Wahllisten auf regionaler Basis gemäß den genehmigten Vorschriften unmissverständlich wiederholt werden.
Der Text der neuen Regeln für die Wahl der Leitungsgremien der Stiftungen wurde am Samstag, den 18. Juni, im türkischen Amtsblatt veröffentlicht. Mit der Veröffentlichung der neuen Vorschriften sollte eine lange Zeit des Stillstands und der Ungewissheit in der Gesetzgebung beendet werden, die in den letzten Jahren die normale Erfüllung der Aufgaben dieser Einrichtungen zum Wohle der nicht-muslimischen Gemeinschaften in der Türkei beeinträchtigt und teilweise verhindert hat. Gleich bei der erste Lesung der neuen Verordnungen übten Vertreter der örtlichen Glaubensgemeinschaften der Minderheiten Kritik an den neuen Bestimmungen. Insbesondere die neue territoriale Unterteilung der Wahlkreise für die Wahlen zur Erneuerung der Vorstände der einzelnen Stiftungen sowie die Tatsache, dass die Tätigkeiten der Stiftungen, die Krankenhäuser und andere Gesundheitseinrichtungen verwalten, der Kontrolle des Gesundheitsministeriums unterliegen, wurden mehrfach kritisiert.
Das System der "Stiftungen" ist das Rechtsinstrument, mit dem die türkischen Institutionen ihrer Beziehungen zu nicht-muslimischen Glaubensgemeinschaften regeln. Derzeit sind 167 Stiftungen, die mit den griechisch-orthodoxen, armenischen, jüdischen, syrischen, chaldäischen, bulgarischen, georgischen und maronitischen Gemeinschaften in der Türkei verbunden sind, die gewöhnlich als "Minderheiten" bezeichnet werden, der Stiftungsdirektion unterstellt.
In der Türkei ist die Verwaltung von Minderheitenstiftungen eng mit dem Leben der örtlichen christlichen und jüdischen Gemeinschaften verbunden. Diese Einrichtungen sind de facto mit der Verwaltung von Gotteshäusern (Kirchen und Synagogen), Immobilien und öffentlichen Einrichtungen - wie Kulturzentren und Krankenhäusern – der verschiedenen nicht-muslimischen Gemeinschaften betraut.
Der Prozess der Ausarbeitung neuer Vorschriften, insbesondere für die Wahlen, wurde in den letzten Jahren wieder aufgenommen, nachdem eine lange Zeit des Stillstands eingetreten war (vgl. Fides 27/1/2022). Die bisherige Wahlordnung für die Führungsspitze der Stiftungen war 2013 ausgesetzt worden, nachdem sich die Regierung verpflichtet hatte, neue Verfahren einzuführen und die Maßnahme vor allem mit der Absicht begründet hatte, die Verwaltung der diesen Einrichtungen anvertrauten Immobilien funktioneller und transparenter gestalten zu wollen.
Der rechtliche Status der Stiftungen geht immer noch auf dem Friedensvertrag von Lausanne zurück, der 1923 von der Türkei und den Entente-Mächten (Britisches Empire, Frankreich und Russisches Reich), die als Sieger aus dem Ersten Weltkrieg hervorgingen, unterzeichnet wurde.
Der Brief von Sahak II. an Erdogan gewinnt auch dadurch an Bedeutung, dass der Patriarch gegenüber dem Präsidenten und den türkischen Behörden stets einen herzlichen und respektvollen Ton anschlägt. Anfang 2020, nur wenige Wochen nach seiner Wahl zum Patriarchen (vgl Fides 3.1.2020), hatte Patriarch Masalyan gegenüber den türkischen Medien erklärt: "Alle Minderheiten in der Türkei sind der gleichen Meinung: Unter der Regierung der AKP-Partei leben wir in der friedlichsten und glücklichsten Zeit seit der Gründung der türkischen Republik".
(GV) (Fides 27/8/2022).


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