ASIEN/PAKISTAN - Beobachter des Vatikan bei den Vereinten Nationen: ein Eingreifen der Vereinten Nationen im Fall Farah Hatim ist richtig

Mittwoch, 15 Juni 2011

Genf (Fidesdienst) – Den Fall von Farah Hatim, die junge Christin, die entführt und zur Heirat und zur Bekehrung zum Islam gezwungen wurde, bezeichnet der Ständige Beobachter des Vatikan beim Sitz der Vereinten Nationen in Genf, Erzbischof Silvano Tomasi, als „Verstoß gegen die Gewissens- und Religionsfreiheit, weshalb ein Eingreifen des Menschenrechtshochkommissars „wünschenswert“ sei, da „die Religionsfreiheit ein Prüfstand für alle Menschenrechte ist“. In einem Exklusiv-Interview mit dem Fidesdienst, in dem sich der Vatikanvertreter insbesondere auch zum Fall Farah Hatim äußert, weist dieser darauf hin, dass in Pakistan eine „Revision des Justizsystems“ notwendig ist, damit die Rechte von Minderheiten tatsächlich geschützt werden.

Exzellenz, sind Sie über den Fall Farah Hatim informiert? Wie denken Sie darüber?

Der Fall Farah Hatim ist einer der vielen Fälle, von denen die Medien berichten oder über die wir durch private Mitteilungen der Angehörigen oder der Ortskirche aus Pakistan erfahren: christliche Mädchen werden entführt und zur Heirat gezwungen, wobei sie auf ihren Glauben verzichten und zum Islam übertreten müssen. Wie die Familie von Farah berichtet, ist die Sachlage im Fall Farah so: sie wurde gegen ihren willen verschleppt. Problematisch ist, dass derzeit niemand zu ihr Kontakt aufnehmen kann. In solchen Fällen sollte es einen Mechanismus geben, der den direkten Dialog mit den Anwälten, der Familie, den Beamten ermöglicht, damit man Nachforschungen anstellen und der Wahrheit auf den Grund kommen kann. Die Erfahrung lehrt uns, dass es sich um Menschenrechtsverstöße, um Verstöße gegen die Gewissens- und Religionsfreiheit handelt und damit um einen Verstoß gegen die persönliche Freiheit, die Freiheit selbst zu entscheiden, wie man das eigene Leben gestalten will.

Die Kirche in Pakistan setzt sich für die Freilassung der jungen Frau ein, katholische Nichtregierungsorganisationen nehmen sich des Falls an: halten Sie ein Eingreifen des UN-Menschenrechtsrates für wünschenswert?

Ich denke schon: in solchen Fällen der Verfolgung religiöser Minderheiten, von Christen und Angehörigen anderer Religionen, ist es wichtig, dass dem Hochkommissariat für Menschenrechte bei den Vereinten Nationen ein detaillierter Bericht vorgelegt wird. Dieses wird dann auf der Grundlage seines Mandats eine offizielle Untersuchung auf den Weg bringen. Katholische Nichtregierungsorganisationen, die bei den Vereinten Nationen akkreditiert sind erhalten Informationen direkt aus Pakistan und sammeln Daten für einen Bericht, der dem UN-Rat vorgelegt werden kann, damit auf der Grundlage der Kriterien der Objektivität und Transparenz auch in solch schwierigen Situationen die großen Prinzipien der Menschenrechte zur Anwendung kommen. Zur Solidarität mit Christen, die wegen ihres Glaubens Not leiden, sind wir verpflichten und in Fällen wie diesem, müssen wir meines Erachtens die Strukturen der internationalen Staatengemeinschaft nutzen, die für den Schutz verfolgter Menschen geschaffen wurden. Außerdem sollten wir westlichen Medien aus ihrer Gleichgültigkeit wachrütteln, die oft nicht von der Diskriminierung berichten, unter der Tausende Gläubige leiden.

Wie schätzen Sie die Lage der christlichen Minderheiten in Pakistan ein?

Die Ständige Vertretung des Heiligen Stuhls in Genf äußert sich regelmäßig zu den Themen Diskriminierung und Gewalt, vor allem wenn es um den Schutz der Gewissens- und Religionsfreiheit geht. Wie auch die Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. betonen, ist die Religionsfreiheit ein Prüfstand für die Menschenrechte. In Pakistan muss man dieses Thema in den allgemeinen Kontext des Landes einordnen, wo es Problem im Bildungssystem, Korruption und Extremismus gibt. Das Land muss sich mit diesen schwierigen Problemen im eigenen sozialen und politischen Kontext befassen. Ausschlaggebend ist dabei, dass die Strukturen der Justiz auch den Minderheiten objektiv zur Verfügung stehen: wenn das Justizsystem nicht funktioniert, oder politischer und wirtschaftlicher Druck ausgeübt wird, der dazu führt, dass Prozesse nicht korrekt ablaufen, dann wird es für die Minderheiten keinen gerechten Weg zum Schutz der eigenen Rechte geben. Außerdem muss man ein Bildungssystem fördern, dass auf dem Respekt gegenüber dem anderen basiert, als Voraussetzung für das Entstehen einer Gesellschaft, in der friedliches Zusammenleben möglich ist.

Sehr umstritten ist der so genannte „Blasphemie-Paragraph“…

Der so genannte „Blasphemieparagraph“ (die Paragraphen 295b und 295c des Strafgesetzbuchs) sind ein trauriges Kapitel im Hinblick auf die Frage der Religionsfreiheit in Pakistan. Bezeichnend ist, dass der Minister für religiöse Minderheiten, Shabhaz Bhatti, ermordet wurde, weil er sich für eine Änderung einsetzte, damit ein Missbrauch erhindert wird und keine Schäden zu Lasten von unschuldigen Opfern entstehen. Die Änderung dieses Paragraphen ist für die christlichen Gemeinden, die oft Opfer sind, ein prioritäres Anliegen: dieser ungerechte Mechanismus rechtfertigt Übergriffe auf Unschuldige und bringt eine anhaltenden Unsicherheit und Gefahr mit sich, insbesondere für christliche Familien und andere religiöse Minderheiten.


Was wünscht sich der Heilige Stuhl in diesem Zusammenhang und wie setzt er sich dafür ein?

Der Heilige Stuhl versucht durch seine multilaterale Vertretung beim Menschenrechtsrat das Augenmerk auf dies Fragen zu lenken und den Horizont zu erweitern, damit sichtbar wird, dass die Religion keine Konfliktquelle ist, sondern Grundlage der universalen Prinzipien, die dazu nützlich sind in pluralistischen Gesellschaften zusammen zu leben und Geschwisterlichkeit und Frieden entstehen zu lassen. Durch die Entwicklung im Zusammenhang mit der Globalisierung sehen sich alle Gesellschaften damit konfrontiert. Der soziale Zusammenhalt kann nicht dadurch erzwungen werden, dass man Menschen unterdrückerischen Schemen unterordnet. Religionsfreiheit und das Recht auf einen Religionswechsel, die Achtung von Minderheiten sind unaufschiebbare Erfordernisse. Wir hoffen, dass die Veränderungen in Nordafrika und im Nahen Osten zu mehr Öffnung in den beteiligten Gesellschaften führen und dass dies den Völkern Hoffnung macht und ein würdiges und freies Leben für alle mit sich bringt, auch für die Christen in Pakistan. (PA) (Fidesdienst, 15/06/2011)


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