ASIEN/TÜRKEI - Rechtsstatus der Religionsgemeinschaften: eine Herausforderung für die heutige Türkei

Samstag, 11 Juni 2011

Aachen (Fidesdienst) – Die juridische Anerkennung der Religionsgemeinschaften sei ein wichtiger Schritt für die moderne Türkei; es handele sich um ein wesentliches Recht, das auch grundlegende Vorausstzung für die volle Ausübung der Religionsfreiheit ist: dies bekräftigt der Leiter der Fachstelle Menschenrechte und Türkeiexperte beim Internationalen Missionswerk „missio“ in Aachen“, und von der Kongregation für die Ostkirchen auf Antrag der Türkischen Bischofskonferenz ernannter Anwalt der katholischen Kirchen in der Türkei Ottmar Oehring, mit Blick auf die bevorstehende Wahl am 12. Juni.
Gegenüber dem Fidesdienst erinnert Oehring mit Bezug auf die von ihm im Auftrag von missio erstellte Studie „Zur Lage der Menschenrechte – Die Türkei auf dem Weg nach Europa – Religionsfreiheit?“ an die Lücken im türkischen Rechtssystem im Hinblick auf die verschiedenen Religionsgemeinschaften: nach türkischem Recht exisiere keine Religionsgemeinschaft offiziell, es fehle ein Regelwerk, das Kirchen und anderen Gemeinschaften als „juridische Person“ definieren würde, mit allen sich daraus ergebenden Problemen (kein Anspruch auf Grundbesitz, keine Vertagsfähigkeit, keine Möglichkeit, Angestellte zu beschäftigen oder die Trägerschaft von Schulen zu übernehmen, Projekte auf den Weg zu bringen, Veröffentlichungen herauszugeben, usw.).
Die sunnitische muslimische Glaubensgemeinschaft (die im Land die Mehrheit bildet) habe zwar auch keinen unabhängigen rechtlichen Status, so Öhring, doch deren Initiativen und Aktivitäten würden von der so genannten „Diyanet“ geregelt, dem Präsidum für Religionsangelegnheiten, das direkt zum Premierminister führt. Andere Religionsgemeinschaften führen hingegen eine paradoxe Existenz: „es gibt sie, aber es ist so, als ob sie nicht existierten“.
„Die Regierung unter Ministerpräsident Erdogan zeigte sich nie wirklich daran interessiert, dass Religionsfreiheit für alle Religionen gelten solle und nicht nur für eine einzige Gruppe“, so Oering. „Diese ungewöhnliche Situation stellt aber auch die Definition der Türkei als laizistischen Staat in Frage. Der Status als juridische Person ist dabei nur ein Aspekt des Problems: es muss einen Wandel in der Haltung des Staates und der Gesellschaft und der Mentalität im Allgemeinen geben. Es sind Änderungen der Verfassung und des Strafgesetzbuchs notwendig. Andernfalls wird die Türkei in dem Bemühen scheitern, die eigenen Pflichten und Rechte im Hinblick auf die Umsetzung der Menschenrechte zu verwirklichen.“, so der Menschenrechtsexperte weiter.
Die rechtliche Anerkennung, so Oehring, „ist von grundlegender Bedeutung im Rahmen der Beziehungen zwischen Staat und Religion“, denn, wenn man diese verweigert, „hindert man de facto die Mitglieder Relgionsgemeinschaften an der vollständigen Ausübung und Inanspruchnahme der Kultus- und Religionsfreiheit“. Ein positives Beispiel in diesem Sinn sei die Geschichte des Waseinhauses Buyukada, das 1964 verstaatlicht und 2010 an das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel zurück erstattet wurde. „Dies ist seitens des Staatets eine Art implizite Anerkennung, dass ein legitimer Eigentümer existiert; doch trotz allem ist dieser rechtlich nicht anerkannt“.
Zur Lösung der Probleme, so Oehring, sei eine Änderung des gestzlichen Rahmens notwendig, wie sie die Kirchen und Religionsgmeinschaft von der neuen Regierung fordern: an erster Stelle die Streichung des Paragraphen 101 (Artikel 4) des Strafgesetzbuchs, das religiösen Gemeinschaften verbietet einen rechtlichen Status als „Stiftungen“ anzunehmen. „So lange die Religionsgemeinschaften den keinen rechtlichen Status haben, sind sie nicht in der Lage die eigenen Aktivitäten in eigner Verantwortung und autonom auszuüben“, beetont Oehring. „Dies alles“, so Oehrign abschließend, „verstößt gegen die Achtung der Menschenrechte, die hingegen für Personen und Gemeinden garantiert sein sollte“ und ist der Ursprung zahlreicher sozialer und religiöser Probleme in der modernen Türkei. (PA) (Fidesdienst, 11/06/2011)


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