ASIEN/INDIEN - Erzbischof von Cuttack-Bhubaneswar in Orissa: „Trotz der bestehenden Verfolgung wächst der Glaube unter den Christen“

Donnerstag, 19 Mai 2011

Vatikanstadt (Fidesdienst) – „Die Verfolgung der Christen in Orissa ist existent, doch der Glaube wächst und wird stärke und auch die Zahl der Gläubigen nimmt zu. Wir haben keine Angst: wir sind stets bereit, die Wahrheit zu sagen und Menschenwürde und Religionsfreiheit zu schützen, obschon wir uns als Christen in Orissa heute von den Institutionen vernachlässigt fühlen“, so Erzbischof John Barwa von Cuttack-Bhubaneswar in einem Interview mit dem Fidesdienst. Der Erzbischof leitet das größte Bistum im nordostindischen Unionsstaat Orissa mit über 62.000 Katholiken. In seiner Erzdiözese befindet sich auch der Verwaltungsdistrikt Kandhamal, der 2008 Schauplatz antichristlicher Massaker war, bei denen rund 100 Menschen starben und infolge derer 56.000 Binnenflüchtlinge ihre Heimat verließen. Der Erzbischof hält sich derzeit zum Ad-limina-Besuch im Vatikan auf und schildert im Gespräch mit dem Fidesdienst Gründe und Ursprünge antichristlicher Gewalt.


Exzellenz, wie sieht die Lage der Christen in Orissa heute aus?

Die Verfolgung ist existent, wir sehen uns mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert und das bereitet uns manchmal auch Sorge. Doch wir glauben, dass die Verfolgung Teil unserer christlichen Berufung und des Lebens der Christen ist. Doch wir haben keine Angst und wir erleben es als einen Segen Gottes. Wir wissen, dass der Glaube dort stärker wird, wo es Verfolgung gibt und heute bin ich stolz, sagen zu dürfen, dass bei meinen Gläubigen dies der Fall ist. Das für den Glauben an Christus vergossene Blut stets Samen für neue Christen ist: in Orissa steigt die Zahl der christlichen Gläubigen.

Können Sie Episoden der Gewalt schildern, zu denen es heute kommt?

Es muss gesagt werden, dass es heute nicht mehr zu Massakern kommt, wie wir sie 2008 erlebt haben. Doch die Christen werden auch heute noch eingeschüchtert und viele sind noch nicht wieder in die Heimat zurückgekehrt. Es gibt eine subtile Form der Unterdrückung und Einschüchterung durch extremistische Hindugruppen. Oft geschieht dies in ländlichen Gegenden, wo es immer wieder zu Drohungen und Gewalt kommt von denen auch die nationalen Medien berichten, wie im jüngsten Falle der jungen Christin, die vergewaltigt und ermordet wurde (vgl. Fidesdienst 16/05/2011). Grundlage sind Hass und Feindseligkeit gegenüber Christen, die sich oft in Formen der Diskriminierung seitens einiger Sektoren der Gesellschaft verwandeln, wobei dies zum Teil auch für die Institutionen gilt.

Vertrauen Sie der Justiz, den Polizeibehörden und in die zivilen Autoritäten?

Orissa stellt das Funktionieren der indischen Justiz auf eine harte Probe. Vor unseren Augen geschehen schmerzliche Episoden, bei denen Christen als Bürger zweiter Klasse behandelt werden und nur mühsam Gerechtigkeit erwirken können. Im Fall von Schwester Meena Barwa, der katholischen Ordensfrau, die 2008 vergewaltigt wurde, wurden die Verantwortlichen nach Zahlung einer Kaution freigelassen. Die Vorgehensweise und die Ergebnisse der noch laufenden Prozesse im Zusammenhang mit den Massakern im Jahr 2008 werden ein offensichtlicher Beweis dafür sein, ob in unserem Land alle Bürger der Justiz vertrauen können und ob alle Menschen vor dem Recht gleich sind. Wie könnten wir den Polizeibehörden verrauen, nachdem wir miterleben mussten, dass im Fall von Schwester Meena und bei anderen Massakern, die Aggressoren nicht aufgehalten wurden? Die Polizei hat uns nicht geschützt und schützt uns auch heute nicht. Als Christen fühlen wir uns in diesem Moment von den Institutionen eindeutig vernachlässigt.

Dies ist in einer Demokratie sehr schlimm…

Ja das ist es, aber die Fakten sind unmissverständlich. Wir fühlen uns als Christen heute nicht sicher und nicht ausreichend geschützt. Außerdem gab es bisher keine Gerechtigkeit für die Gewalt, die uns widerfahren ist.

Wie viele extremistische Gruppen gibt es heute und weshalb sind sie gerade in Orissa so einflussreich?

Genaue Zahlen kenne ich nicht, doch viele radikale Hindugruppen, die in unserer Region agieren, sind gut bekannt, darunter die Vishwa Hindu Parishad (VHA) und andere. Doch im Vergleich zu den vielen hinduistischen Gläubigen, die gemäßigt und friedlich sind, sind es wenige. Doch diesen Wenigen gelingt es, Gewalt und Hass gegen Christen zu schüren und Menschen zu manipulieren-

Warum sind Christen die bevorzugte Zielscheibe?

Dafür gibt es eine Reihe von sozialen, politischen und religiösen Gründen. Den christlichen Gemeinden in Orissa gehören vor allem Dalit und Mitglieder tribaler Volksstämme an. Die Evangelisierung unter den tribalen Volksstämmen geschieht problemlos. Die Dalit hingegen werden als Teil der hinduistischen Gesellschaft betrachtet: denn sie sind die niedrigste Kaste, die sich in den Dienst der anderen Kasten stellen soll. Christen hingegen fördern die menschliche, wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Dalit und schützen deren Rechte. Oft äußern diese Menschen den Wunsch, zum christlichen Glauben überzutreten. Dies führte bei radikalen Hindus zu einer Reaktion. Oft beginnen Dalit, einmal von der Last und von der Kastenideologie befreit, eigene wirtschaftliche und kommerzielle Aktivitäten und dies führt auch zu Konkurrenz auf wirtschaftlicher Ebene: ein weiterer Grund der Unzufriedenheit. Dies ist der Nährboden, auf dem Extremismus und Gewalt keimen. Zudem gibt es auch politische Gründe: Christen unterstützten die regierenden hinduistisch geprägten Parteien nicht (wie zum Beispiele die Baratiya Janata Party, BJP) und deshalb wollen viele Politiker nicht, dass sich die Glaubensgemeinschaft größer oder einflussreicher wird.

Wie sieht ihre pastorale Tätigkeit in einem solchen Kontext aus?

Ich versuche vor allem den Dialog auf allen Ebenen zu fördern: unter den einfachen Leuten, mit den anderen christlichen Gemeinden, hinduistischen Religionsführern, zivilen Behörden und den Führungskräften der Polizei, damit alle Menschen guten Willens zusammenarbeiten. Mein Bischofsspruch lautet: „Dein Reich komme“. Ich glaube, dass ich mit diesem Stil bei der Pastoralarbeit dem Aufbau des Reiches Gottes in diesem Teil Indiens beizutragen.

Was hat die Begegnung mit dem Papst für Sie bedeutet?

Der Papst hat uns Bischöfen Mut gemacht und uns für den Dienst an den Menschen gedankt. Er hat uns an unsere Verantwortung als Hirten erinnert und uns darum gebeten, den Glauben der Menschen zu stärken und die Würde jedes Menschen zu schützen. Nach dieser Begegnung ist mein Herz voller Dankbarkeit zu Gott. Es war für mich eine Gnade hierher in den Vatikan zu kommen und dem Papst zu begegnen, seine Ermutigung und seinen Beistand zu Erfahren und seinen Segen zu erhalten.

Der Papst sprach auch über die Bedeutung der Religionsfreiheit und anderer Menschenrechte…

Bei diesem Teil der Rede des Papstes habe ich mich und die Situation, die wir in Orissa erleben, direkt angesprochen gefühlt. Ich fühle mich berufen ohne Angst die Wahrheit über die Menschenwürde, die Glaubensfreiheit und den Respekt der Menschenwürde zu verkünden, die in Orissa oft missachtet wird. (PA) (Fidesdienst, 19/05/2011)


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