AFRIKA/ÄGYPTEN - Unruhen im Viertel der Müllsammler in Kairo: Bericht eines dort tätigen Missionars

Mittwoch, 9 März 2011

Kairo (Fidesdienst) – „Wir hoffen, dass es sich bei diesen Unruhen um Einzelfälle handelt, denn es geschieht nun das, was ich schon lange befürchtet habe, d.h., dass die verschiedenen Probleme der ägyptischen Gesellschaft ans Tageslicht kommen“, so der seit vielen Jahren in Kairo tätige Comboni Missionar P. Luciano Verdoscia zum Fidesdienst. P. Verdoscia arbeitet in Kairo auch unter den Kindern im Stadtteil Mansheya, das auch als das Viertel der Müllsammler bekannt ist. In diesem Teil der Stadt starben nach Angaben des ägyptischen Gesundheitsministeriums in der Nacht vom 8. auf den 9. März insgesamt 10 Menschen bei Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und koptischen Christen, die sich nach dem Anschlag auf die Atifh Kirche in Helwan (vgl. Fidesdienst vom 07/03/2011) zu Protesten versammelt hatten.
P. Verdoscia beschreibt den Stadtteil, in dem es zur Gewalt kam: „Das Stadtviertel ist in 7 verschiedene Sektoren unterteilt. Dazu gehört auch der Sektor der so genannten Müllsammler, wo vorwiegend Christen leben. In den anderen Sektoren wohnen hauptsächlich Muslime. Ein Großteil der Einwohner des Stadtteils kommt aus Südägypten, wo es seit langem Spannungen gibt, die in die Hauptstadt exportiert wurden. Auch unter den Christen gibt es viele ‚Kampflustige’. Ich arbeite seit langem in dem Stadtviertel und bin vor allem von der verbalen Gewalt der Menschen, die dort leben beeindruckt. Andererseits sind viele von den dort lebenden Menschen ungebildet und leben unter schwierigen Bedingungen“.
Zu den Episoden der Gewalt sagt P. Verdoscia: „Was hier passiert ist, ist typisch für eine seit langem im Land herrschende Situation, die zum Teil auf mangelnde Bildung und zum anderen auf einer falschen Auslegung der Religion basiert. Was dies anbelangt, so sind auch verschiedene muslimische Wissenschaftler sich darüber einig, dass es Verse aus dem Koran gibt, die, wenn wie nicht richtig Ausgelegt werden Diskriminierung von Frauen und Christen rechtfertigen. Auch das Verbot für die Frauen, sich am 8. März zu Kundgebungen auf dem Tahrir-Platz zu versammeln ist ein negatives Zeichen und Zeigt, dass in der arabischen Welt immer noch eine Mentalität herrscht, die bestimmte Gesellschaftsteile diskriminiert, wie zum Beispiel Frauen und Christen. Ich hoffe, dass die Volksrevolution fortgesetzt wird und auch diese Probleme lösen wird, denn sonst wird nicht auszuschließen sein, dass es im Land einen Bürgerkrieg gibt oder zumindest, dass es zu heftigen Unruhen kommt.
„Es gibt glücklicherweise aber auch positive Signale“, so P. Verdoscia, „wie zum Beispiel die sehr wichtige und positive Stellungnahme des Imam der Al-Azhar- Universität, Ahmed el-Tayeb, der den Anschlag auf die Kirche in Atifh verurteilt, und des Befehlshabers der Armee, der den Wiederaufbau der Kultstätte versprach.“
Abschließend sagt P. Luciano: „Trotz der komplexen Lage müssen wir als Christen auf friedliche Weise unsere Stimme erheben, wenn unsere Gemeinden diskriminiert werden, und laut sagen, dass wir eine solche Diskriminierung nicht akzeptieren können, da wir verpflichtet sind, die Wahrheit zu verkünden.“ (LM) (Fidesdienst, 09/03/2011)


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