AFRIKA/ÄGYPTEN - Missionar zum Fidesdienst: „Es gibt eine Polarisierung zwischen denjenigen, die eine möglichst rasche Normalisierung wollen, und denjenigen, die beabsichtigen, die Proteste fortzusetzen, bis sich das Regime ändert“

Dienstag, 8 Februar 2011

Kairo (Fidesdienst) – „Auf dem Tahrir-Platz gehen die Proteste weiter und verschiedene Redner ergreifen an Mikrofonen das Wort, die an Lautsprecheranlagen angeschlossen sind. Unterdessen versucht das Land zur Normalität zurückzukehren“, so der seit vielen Jahren in Kairo tätige Comboni Missionar, P. Luciano Verdoscia zum Fidesdienst. „Als gestern an die Opfer erinnert wurde, die bei den Protesten ihr Leben verloren haben, war das sehr bewegend. Die bekannte Schriftstellerin und Menschrechtskämpferin Sakina Fuad hielt eine Ansprache, bei der sie vor allem folgende Fragen aufwarf: weshalb hat die Regierung nicht zugehört, als wir uns über Korruption und mangelnde Demokratie beklagten? Wo waren die Demonstranten, als wir auf diese Situation hingewiesen haben? Die Ägypter sind ein großes Volk mit einer enormen Kultur und Geschichte, doch sie müssen noch lernen, wie man sich auf internationalem Terrain bewegt. Abschließend wünschte sie sich, dass es sich bei den künftigen Regierenden um Menschen handelt, die das Land lieben und nicht um solche, die es ausbeuten“.
„Die Demonstranten habe ich nach ihren Plänen für die Zukunft gefragt“, so der Missionar weiter, „und sie antworteten, dass es noch keine solchen Pläne gebe und man sich derzeit auf den Protest konzentriere, und die Forderung nach dem Rücktritt des Präsidenten im Vordergrund stehe. Es sind jedoch auch Programme im Umlauf, die von Demonstranten verteilt wurden“.
„In diesem Zusammenhang scheint sich auch eine ablehnende Haltung im Hinblick auf die Amtsübernahme von Omar Seleiman zu geben (der ehemals Chef des Geheimdienstes war und zum stellvertretenden Präsidenten ernannt wurde), die anfangs befürwortet würde. Nun wurde bekannt, dass der Zuschlag für den Bau einer Gaspipeline, die Ägypten mit Israel verbindet, an einen Unternehmer aus seinem Umfeld gegangen sein soll. Nun fordern die Demonstranten die Bildung einer technischen Übergangsregierung. Es wurde auch eine Liste mit den Namen derer aufgestellt, die Teil dieser Regierung sein sollen“.
Nach Ansicht von P. Luciano ist „die Situation noch ungelöst, auch weil die Menschen weiterhin protestieren und auch auf anderen öffentlichen Plätzen Demonstrationen stattfinden. Es könnte neue Überraschungen geben“, vermutet der Missionar.
Zu möglichen Anzeichen der Müdigkeit unter den Protestanten sagt P. Lucian: „Die meisten Menschen wollen einen Wandeln und werden deshalb weiter an Protesten teilnehmen. Währenddessen fordern die Anhänger Mubaraks eine baldige Rückkehr zur Normalität. Insbesondere sind die Unternehmer und diejenigen, denen es unter dem Regime Mubarak gut ging daran interessiert, denn sie fragen sich: was wird nun geschehen? Diese Menschen befürchten eine verheerende Krise und verlieren täglich mehrere Millionen Dollar. Eine solche Situation darf ihrer Meinung nicht andauern, denn ihr Leben würde dadurch vollkommen auf den Kopf gestellt werden“.
Der Missionar weist in diesem Zusammenhang abschließend auf eine Polarisierung zwischen denjenigen hin, die eine möglichst rasche Normalisierung wollen, und denjenigen, die beabsichtigen, die Proteste fortzusetzen, bis sich das Regime ändert: „Die einen befürworten den Vorschlag Mubaraks (der das Amt bis zu Wahl im September weiterhin besetzen will, danach aber nicht wieder kandidieren wird) und wollen bis September warten. Die anderen sind der Meinung, dass dies nicht akzeptabel sei und das Regime auf diese Weise seine Nachfolger sichern wolle und sich damit nichts ändern würde. Die Demonstranten wollen einen radikalen Wandel“. (LM) (Fidesdienst, 08/02/2011)


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