ASIEN/PAKISTAN - „Religiöse Minderheiten erhalten als letzte Hilfe“: Missio-Partner Emmanuel Asi über Pakistan während der Flut

Donnerstag, 12 August 2010

München (Fidesdienst) - In einem Interview mit missio München berichtet der katholische Priester Emmanuel Asi aus Pakistan, langjähriger Partner des Internationalen katholischen Missionswerkes missio, über die aktuelle Notsituation und die Situation religiöser Minderheiten im Land. P. Asi ist einer der bekanntesten katholischen Theologen Pakistans. Er leitet die Bibelkommission Pakistans in Lahore und ist Vorstandsmitglied des Theologischen Instituts für Laien sowie Experte für den interreligiösen Dialog.

Hilfsorganisationen sprechen von einer Katastrophe mit weitreicheren Folgen als der Tsunami. Wie beurteilen Sie die Lage?

Diese Einschätzung trifft zu. Knapp 14 Millionen Menschen sind von der Flut betroffen. Fast alle Dämme des Landes sind überflutet. Derzeit haben die Wassermassen die Mitte Pakistans und damit große Ebenen erreicht, wo das Wasser im Gegensatz zum bergigen Norden nur sehr langsam ablaufen kann. Viele Menschen stehen buchstäblich im Wasser. Vor allem Frauen und Kinder sind in Gefahr, und die Regierung scheint völlig überfordert. Moscheen und Kirchen, werden geöffnet, um den Flutopfern Zuflucht im Trockenen zu geben; bislang aber kaum Regierungsgebäude. Vermutlich fürchten die Behörden, sie müssten dann auch über längere Zeit für die medizinische Versorgung und Ernährung der Betroffenen aufkommen und sehen sich dazu nicht in der Lage.

Presseberichten zufolge haben im Norden zum Teil die Taliban die Nothilfe übernommen und üben Druck auf die Regierung aus, keine ausländische Hilfe anzunehmen. Droht eine Islamisierung des Landes?

Die Taliban sind eine kleine einflussreiche Gruppe, die die Bergregion im Nordosten des Landes kontrolliert. In dem Gebiet galten auch schon früher Stammesgesetze, nicht die pakistanische Verfassung. Bei der Mehrheit der Muslime sind die Taliban nicht sehr beliebt. Ihre Vorstellungen vom Islam mit sehr strengen Ge- und Verboten erscheinen den Menschen zu archaisch.



Was kann die Kirche vor Ort und was kann missio tun, um die Not zu lindern?

Wir müssen sehr gezielt und vor allem schnell vorgehen. Denn Mitte Oktober beginnt der Winter. Wenn die Menschen in der Kälte ohne Obdach und ohne warme Kleidung sind, wird die Situation sehr schlimm. Für die aktuelle Nothilfe rate ich, mit lokalen Organisationen zusammenzuarbeiten. Kleine lokale Projekte können effektiver sein als die große Hilfe, die oft die logistischen Kapazitäten der Regierung überfordert. Ich habe Kontakt zu Ordensfrauen, die im Bergland im Norden den Menschen beistehen. Sie haben Obdachlosen in ihrer Kirche Zuflucht gewährt. Als eine der Schwestern mit mir telefonierte, stand sie in ihrem Büro bis über beide Knie im Wasser. Sie brauchen schnell Hilfe.

Was planen Sie konkret?

Wir wollen kleine Teams aus medizinischen Fachkräften und Seelsorgern bilden, die sich vor allem um Frauen und Kinder kümmern. Außerdem wollen wir mit Hilfe von missio Kindern Schuluniformen und Schulmaterial zur Verfügung stellen. Denn Eltern, die alles verloren haben, können sich das nicht leisten. So wollen wir verhindern, dass die Kinder in den nächsten Jahren nicht zur Schule gehen können. missio ist auch gefragt, wenn die Flut abgelaufen ist, wenn die traumatisierten Menschen seelischen Beistand brauchen und wir kirchliche Einrichtungen wieder aufbauen müssen.

Heute, am 11. August, feiert Pakistan den Tag der religiösen Minderheiten. Wie ist die Lage der Christen und anderer religiöser Minderheiten?

Pakistan ist zu 97 Prozent ein muslimischer Staat. Christen sind mit rund 1,8 Prozent der Bevölkerung neben Hindus, Sikkhs und Bahai die größte religiöse Minderheit in Pakistan. Auch wenn die Verfassung Religionsfreiheit vorsieht, werden religiöse Minderheiten diskriminiert. Wenn überhaupt, erhalten sie als letzte in Katastrophenfällen Hilfe von der Regierung. In vielerlei Hinsicht sind wir Bürger zweiter Klasse. Als Kind durfte ich den Brunnen in unserem Schulhof nicht berühren, weil ich Christ bin.

Und wie ist die Situation heute?

Auch heute noch würde kaum ein Muslim von einem Andersgläubigen Lebensmittel kaufen, in einem Restaurant ein frisches Glas benutzen oder einen Friseursalon besuchen, wenn dort vorher ein Christ zu Gast war. Vor Gericht gilt die Zeugenaussage eines muslimischen Mannes so viel wie die Aussage zweier Andersgläubiger. Die Aussage einer muslimischen Frau gilt halb soviel wie die eines Muslims. Sind die Frauen jedoch andersgläubig, bedarf es der Aussage von vier Zeuginnen, um die eines Muslims aufzuwiegen.

Immer wieder werden Christen in Pakistan getötet. Was sind die Ursachen für die Gewalt?

Normalerweise leben Muslime und Christen friedlich zusammen. Doch die christliche und andere Minderheiten stehen unter ständiger Anspannung. Es kann immer etwas passieren. Das pakistanische Gesetzbuch sieht für die Beleidigung heiliger Stätten des Islam, des Koran oder des Propheten Haft- oder sogar die Todesstrafe vor. Leider werden diese sogenannten Blasphemie-Gesetze immer wieder zur Denunziation missbraucht.

Was sind denn die Inhalte der Denunziation?

Der Auslöser ist oft privater Streit unter Nachbarn oder Neid gegen Christen. Muslime können sich zum Beispiel leicht über Christen beim Vorbeter ihrer Moschee beschweren. Das sind zum Teil gefährliche Menschen, meist nicht sehr gut ausgebildet, die dann die ungebildeten Massen mobilisieren und zur Gewalt gegen Christen aufrufen. Dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Mob das gesamte Dorf niederbrennt, in dem der betroffene Christ wohnt. Was als Konflikt zwischen einem Muslim und einem Christen beginnt, endet oft mit dem Tod Unschuldiger.



Was kann die Kirche tun, um die Minderheiten zu schützen und ihre Situation zu verbessern?

Wir setzen uns für den interreligiösen Dialog und die Wahrung der Menschenrechte ein. Seit langem unterstützt missio diese oft langwierige Arbeit, zu der es aus meiner Sicht keine Alternative gibt. Es geht darum, das Bewusstsein für eine Zivilgesellschaft zu schaffen, in der alle Menschen unabhängig von ihrer Religion, ihrer ethnischen Herkunft oder ihrem Geschlecht gleichberechtigt leben können.

Was wird konkret getan?

Die Kirche ist im Dialog mit muslimischen Gelehrten. Sie engagiert sich für die Rechte von Frauen und für eine gute Schulbildung. Die pakistanische Elite hat fast geschlossen christliche Schulen besucht. Dennoch erhalten wir von der Regierung und der Polizei meist keinen Schutz gegen Gewalt.
Unsere Regierung reagiert nur auf Druck von außen. Daher kann ich nur an die Bundesregierung und die EU appellieren, sich für die Abschaffung der Blasphemie-Gesetze einzusetzen. Diese Gesetze hängen wie ein Damokles-Schwert über den Köpfen der Minderheiten im Land.

Kann die internationale Hilfe für die Flutopfer zur Solidarität unter den Menschen in Pakistan beitragen?

Ich hoffe es sehr. Das Wasser macht ja auch keinen Unterschied, sondern trifft alle gleich. Es gibt Muslime, denen geht die Religion über alles, selbst über ein Menschenleben. Sie lehnen zum Beispiel Unterstützung von Christen ab. Doch die Mehrheit sieht und schätzt die Hilfe, die die internationale Gemeinschaft und die Kirche leisten. Mein Anliegen ist, von der Ablehnung Andersgläubiger zu einer humanen umfassenden Perspektive der Bergpredigt zu kommen. Hilfe, die allen Bedürftigen zuteil wird, könnte ein Gemeinschaftsgefühl stärken. Jeder Mensch geht uns an, gleich woran er glaubt. (Fidesdienst, 12/08/2010)


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