VATIKAN - DIE WORTE DER GLAUBENSLEHRE von Don Nicola Bux und Don Salvatore Vitiello - Die anthropologische Wende: “Empfangen hat den Vorrang vor “tun”

Donnerstag, 24 September 2009

Vatikanstadt ( Fidesdienst) – Die jüngste Enzyklika von Papst Benedikt XVI., “Caritas in Veritate”, füllte tagelang die Seiten der Zeitungen, die sich vor allem auf die möglichen wirtschaftlichen und sozialen Indikationen konzentrierten, die man aus ihr ableiten könnte. Der text bekräftigt jedoch ausdrücklich, dass “die Kirche keine technischen Lösungen anzubieten hat”; das wäre im Übrigen eine Aufgabe, die sowohl über das den Aposteln und ihren Nachfolgern aufgetragene missionarische Mandat als auch den epistemologischen Statut der Soziallehre der Kirche überschreiten würde, die – wie es ganz klar der Gottesdiener Johannes Paul II. in der Enzyklika “Centesimus Annus” ausgesprochen hat – eine theologische Disziplin ist, die die Moraltheologie betrifft.
Wenn man also in der “Caritas in Veritate” umsonst nach technischen Lösungen sucht, die es eben darin nicht gibt, welchen Beitrag kann sie dann leisten? Unter den verschiedenen Überlegungen zu den einzelnen Bereichen der Soziallehre der Kirche und unter den angebotenen Betrachtungen erscheint eine von besonderem Interesse, da sie – über wirtschaftliche Notlagen hinaus – das aufzeigt, was eine echte “anthropologische Wende” sein sollte: nämlich die Auffassung, dass der Mensch fähig ist die Beziehung zur Realität sowohl auf noetischer Ebene (Fähigkeiten des Wissens) als auch folgerichtig auf ethischer Ebene (für das Tun) wieder aufzunehmen. Die vom Heiligen Vater vorgeschlagene“ anthropologische Wende” besteht im “Primat des Empfangens vor dem Tun”. Und die Enzyklika sagt dazu: “Die Caritas in der Wahrheit stellt den Menschen vor die erstaunliche Erfahrung der Gabe. In seinem Leben ist die Dankbarkeit in vielfältigen Formen gegenwärtig, die oft aufgrund einer nur produktbezogenen und utilitaristischen Vision des Daseins verkannt werden. Das menschliche Wesen ist gemacht für die Gabe, die seine Dimension der Transzendenz ausdrückt und verwirklicht. Zuweilen ist der moderne Mensch irrtümlicherweise überzeugt der einzige Autor seiner selbst zu sein, seines Lebens und der Gesellschaft [....]. Die Gabe geht schon vom Wesen her über das Verdienst hinaus, ihre Regel ist der Überfluss. Sie geht in unserer Seele voran als Zeichen der Präsenz Gottes in uns und ihrer Erwartung an uns. Die, die im selben Maße wie die Nächstenliebe Gabe ist, ist größer als wir, wie es uns der Hl. Augustinus lehrt. Auch die Wahrheit über uns selbst, über unser persönliches Gewissen wurde uns zunächst einmal “gegeben”. In jedem kognitiven Prozess ist in der Tat die Wahrheit nicht von uns gemacht, sondern wir haben sie stets gefunden – oder besser – empfangen. Wie die Liebe entsteht sie nicht aus dem Denken und aus dem Wollen, sondern in gewissem Sinne drängt sie sich dem menschlichen Wesen auf (CV n.34)
Das heutige kulturelle Klima, vor allem im Westen, scheint die Logik der Gabe, der Unentgeltlichkeit vollständig vergessen zu haben; und das geht so weit, dass der Mensch sich nicht einmal mehr als “Gabe” zu verstehen vermag, eingefangen wie er ist von dem Anspruch das “Maß” aller Dinge zu sein. Abgesehen davon, dass dies aus philosophischer Sicht unrealistisch ist (denn es ist eine offensichtliche Tatsache, dass nicht der Mensch die Wahrheit macht, sondern dass sie allenfalls von der Vernunft her erkannt werden kann, da sie Gabe ist), ist es im wesentlichen auch traurig, denn es trägt dazu bei den “Raum der Hoffnung” zu reduzieren, indem dadurch jene Kultur des Tuns genährt wird, die auf lange Sicht entfremdend wirkt.
Die vorgeschlagene “anthropologische Wende” ist dagegen eine starke Aufforderung sich als “Gabe” zu verstehen, den Vorrang des “Empfangens” und des “Sich-Empfangens” vor dem Tun neu zu entdecken in jenem Gleichgewicht zwischen “ora et labora” der Benediktiner, was ja Europa geschaffen hat. Angesichts der “Wenden” des letzten Jahrhunderts, die sich in verzweifelten Anthropozentrismen aufgelöst haben, erscheint jener Vorschlag von Benedikt XVI. von außerordentlicher Weitsicht und von wirkungsvollem Realismus. Es besteht die Hoffnung, dass sie mit ebensolchem prophetischem Geist verstanden und aufgenommen werde. (Fidesdienst 24/9/2009)


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