VATIKAN - DIE WORTE DER GLAUBENSLEHRE - Von Don Nicola Bux und Don Salvatore Vitiello - Herausforderung oder Bedrängnis? Die Keuschheit begründet eine neue Anthropologie

Freitag, 9 November 2007

Vatikanstadt (Fidesdienst) - Den verschiedenen Erfahrungen des „methodischen Zweifels“ die längs der Geschichte aufeinander gefolgt sind und die Ausläufer haben bis hin zum aktuellen „schwachen Gedanken“ gelingt es nicht, uns an der ersten Evidenz zweifeln zu lassen an der sich jeder Mensch messen muss: die Existenz des eigenen Ich. Gleichzeitig erfährt jeder, dass diese Existenz nicht von unserem eigenen Willen abhängig war, sondern ihren Ursprung ausserhalb von uns selbst hat. Bei jeder Art von Antwort, die man auf diese doppelte Evidenz geben kann, bleibt unanfechtbar die Tatsache, dass jeder sich selbst als ein Geschenk entdeckt, das in einem Anderen seinen Ursprung hat.
Die Entdeckung des Geheimnisses der eigenen Natur erlaubt dem Menschen in der Tat im eigenen Leben die Folgen der göttlichen Liebe ausfindig zu machen, dessen Objekt er ist. In der Erinnerung daran, das Ergebnis eines vollkommen freien Handelns zu sein, wird dem Menschen beachtlich geholfen, seine eigene Freiheit im oft schwierigen Unterfangen zu benutzten, zu vermeiden alles und alle zu einem eigenen Besitz zu reduzieren.
Wir sind uns bewusst, dass die göttliche Freigebigkeit objektiv ist und im Leben nur dann erfahren werden kann, wenn die verwandtschaftlichen, erzieherischen und psycho-affektiven Beziehungen, in denen eine Person heranwächst, die Gewissheit wachsen lassen, gewollt, geliebt und unterstützt zu sein.
Trotzdem: die Bedingungen, damit eine Wahrheit auf vernünftige Weise für die Person erfahrbar wird, hängen eben von der Erfahrung ab, und nicht von der Wahrheit selbst. Mit anderen Worten: die Mühe, die Freigebigkeit oder das Geschenk zu erfahren, die am Ursprung der eigenen Existenz stehen, bedeutet nicht, dass diese nicht existieren, sondern nur, dass man sich eben die Mühe machen muss, um sie zu erkennen.
Der Mensch, der fähig ist sich selbst und die anderen auf diese Weise zu sehen, entdeckt sich voll Staunen über die eigene Grösse, und folglich die Grösse der anderen. Dieses Staunen versetzt ihn in eine tiefe Achtung gegenüber der eigenen Person und jener der anderen - Achtung die Platz für Betrachtung braucht.
Jede Haltung, die von objektiven Schwierigkeiten und Unvermögen ausgehend, den Menschen betreffs seiner eigenen Natur herabsetzten will, würde unfähig sein, die Wirklichkeit in der Totalität ihrer Faktoren anzuerkennen und wäre im Endeffekt respektlos gegenüber der menschlichen Würde.
Wenn man all das auf die Keuschheit anwendet so erscheint offensichtlich wie diese nicht von der allgemeinen Erfahrung des Menschen abgetrennt ist, sondern wie sie ein echter Ausdruck der Freiheit und Zeichen des unabdingbaren Respekts zwischen den Individuen ist. Wenn es nicht „unnormal“ ist, die eigenen Leidenschaften zu dominieren, damit sie nicht unmoralisches Verhalten veranlassen, dann kann es auch nicht als „unnormal“ angesehen werden, die Keuschheit als Selbstbeherrschung zu leben.
Wir verkennen einige Gedankenströmungen nicht, die eine unvermeidliche Frustration aus der mangelnden Möglichkeit, die eigenen menschlichen Leidenschaften zu befriedigen, vertreten und wir verkennen auch nicht die Unvollständigkeit ihrer Idee des Menschen. Es ist nicht vernunftgemäss, den Menschen zu einem Bündel an Leidenschaften zu reduzieren, noch dazu an psycho-sexuellen Leidenschaften. Uns scheint, vertreten zu können, dass das Ich weit mehr ist als seine Leidenschaften und das das eventuelle Ungleichgewicht zwischen den eigenen Wünschen und deren Verwirklichung nicht auf den psycho-sexuellen Bereich reduziert werden kann, sondern ein unvermeidliches und somit grundlegendes Element der menschlichen Erfahrung ist.
Das Christentum nennt dieses Ungleichgewicht „Grenzen“ oder Sünde“ und hebt die Schwäche der menschlichen Situation hervor, während es gleichzeitig in der Barmherzigkeit Gottes Wege reeller und befriedigender Lösungen aufzeigt.
Für den, der Christus begegnet ist und der die eigene Existenz als geliebt und vom menschgewordenen Gott gerettet entdeckt hat, für den ist die Keuschheit keine frustrierende moralische Pflicht, sondern vielmehr die freudige Antwort auf eine Berufung zum vollen, wirklich menschlichen Leben, in denen die Beziehungen zwischen den Menschen ein schwacher aber echter Reflex der Beziehung zum göttlichen Geheimnis sind.
Wenn die Erfahrung der Keuschheit „unmenschlich“ oder immerhin als entgegen der vollkommenen Realisierung des Menschen zu sein scheint, so ist sie in Wirklichkeit „über-menschlich“, oder - um einen mit der Entwicklung der theologischen Wissenschaft kongruenteren Ausdruck zu gebrauchen: sie ist übernatürlich. Dieser Begriff, genauso unbekannt wie kritisiert, wird verwendet um eine zutiefst menschliche Realität anzuzeigen, die dem Menschen hilft, sich selbst zu erklären und in der man eine ausdrückliche Handlung des Göttlichen erkennen kann, das mit der menschlichen Freiheit zusammen arbeitet für eine tiefere Realisierung des Ich. (Fidesdienst 9/11/2007; Zeilen 48, Worte 697)


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