ASIEN/HEILIGES LAND - Pater Bouwen: “Die Entwicklung ist unvorhersehbar. Wir brauchen eine Friedenskonferenz”

Montag, 15 April 2024

thehouseofdavid.org

von Gianni Valente

Jerusalem (Fides) - "Seit dem erneuten Ausbruch der Gewalt in Israel-Palästina am 7. Oktober 2023 wird die Region von einer Reihe tragischer Ereignisse überrollt, die sich einer rationalen Analyse zu entziehen scheinen".
Pater Frans Bouwen, ein belgischer Missionar der Weißen Väter, lebt seit mehr als 50 Jahren in Jerusalem. Er engagiert sich für den ökumenischen Dialog und leitete 46 Jahre lang, von 1969 bis 2015, die renommierte Zeitschrift „Proche Orient Chrétien“. Dies ist auch der Grund, warum Pater Bouwen es gewohnt ist, mit klarem Realismus die Notlagen und Erschütterungen zu analysieren, die das geopolitische Szenario im Nahen Osten durchziehen. Der Missionar der "Weißen Väter" sagt im Interview mit Fides: "Die Gründe für Aktionen erscheinen meist emotional oder sogar leidenschaftlich. Daher ist es praktisch unmöglich vorherzusagen, was nach der beunruhigenden Beschleunigung durch den iranischen Angriffs am Sonntag, den 14. April, geschehen wird".


Die Entwicklung nach dem iranischen Angriffs lässt sich nicht vorhersagen. Vielmehr warnten vor dem Abschuss von Drohnen und Raketen auf israelisches Gebiet die Geheimdienste schon lange im Voraus...
FRANS BOUWEN: Die iranische Aktion war in der Tat vorhersehbar nach dem maßgeblichen israelischen Angriff auf das iranische Konsulat in Damaskus, bei dem mehrere hochrangige iranische Beamte getötet wurden. In gewisser Weise fühlte sich der Iran verpflichtet, nach den vielen Drohungen, die seine Führer in letzter Zeit ausgesprochen hatten, Vergeltung zu üben. Meines Erachtens ging es dabei in erster Linie darum, den eigenen Ruf zu schützen und das Gesicht zu wahren. Auf diese Weise befriedigte der Iran in gewisser Weise den reaktionsfreudigsten Teil seiner Gesellschaft und zeigte Israel, dass seine Drohungen ernst genommen werden müssen.

Welche Absichten hat der Iran für die Zukunft?

BOUWEN : Offenbar will der Iran nicht weiter gehen. Viel wird von der Reaktion Israels und der westlichen Staaten abhängen, die ihre Unterstützung für Israel zum Ausdruck bringen. Diese Situation wird von allen als ein Weckruf gesehen, der ein schnelles, gemeinsames und entschlossenes Handeln erfordert.

Wie sollte man vorgehen, um das Schlimmste zu verhindern?

BOUWEN : Papst Franziskus hat es am Sonntag, den 14. Mai, nach dem Regina-Caeli-Gebet gut ausgedrückt. Vor allem müssen wir uns jeder Aktion enthalten, die den Nahen Osten in eine neue Spirale der Gewalt führen könnte, die die gesamte Region in einen allgemeinen Krieg stürzen könnte, der unweigerlich schwerwiegende weltweite Auswirkungen haben würde. Alle betroffenen Staaten im Nahen Osten und in der ganzen Welt müssen sich darauf verständigen, zu einer Einstellung der Feindseligkeiten aufzurufen und sich zu ernsthaften Verhandlungen zusammenzusetzen, um eine Lösung für die zugrunde liegenden politischen und nationalen Konflikte zu finden und eine stabile Situation für den gesamten Nahen Osten zu schaffen.


Welche Verantwortung tragen andere Länder und internationale Organisationen in einem solchen Szenario?

BOUWEN: Verhandlungen dieser Art können nicht nur zwischen Israelis und Palästinensern geführt werden, weil die Ungleichheiten zwischen den beiden beteiligten Parteien zu groß sind. Differenzen zwischen dem Besatzer und dem Besetzten, zwischen einem der am stärksten bewaffneten Länder der Welt und einem wehrlosen Volk. Die westlichen Staaten tragen in dieser Angelegenheit eine große Verantwortung, da sie durch ihr Handeln oder ihre Untätigkeit zugelassen haben, dass sich die Situation allmählich zu der Sackgasse entwickelt hat, in der sie sich heute befindet.


Wie sehen realistische Lösungsansätze aus?

BOUWEN : Nur eine solche Friedenskonferenz wird eine Lösung bringen können. Für diejenigen von uns, die in diesen Ländern leben, scheinen die beiden möglichen Lösungen - zwei Staaten für zwei Völker oder ein einziger Staat mit gleichen Rechten und Pflichten für alle - im Moment menschlich nicht machbar zu sein. Doch im Heiligen Land gibt es auf beiden Seiten des Konflikts viele Menschen, die bereit sind, zusammenzuleben und eine bessere Welt für alle aufzubauen, angefangen bei den trauernden Eltern, deren Vertreter vor einigen Tagen von Papst Franziskus empfangen wurden.


Wo sehen Sie von Ihrem Wohnsitz in Jerusalem aus, mit Blick auf die "Via Dolorosa", konkrete Zeichen der Hoffnung auf Veränderung?

BOUWEN: Diejenigen von uns, die in der Nähe des Tempelbergs und der al-Aqsa-Moschee leben, waren zutiefst beeindruckt von der Würde und Selbstbeherrschung der Zehntausenden von muslimischen Gläubigen, die den ganzen Ramadan hindurch jeden Tag zum Gebet kamen, ohne dass es zu nennenswerten Zwischenfällen kam. Dies zeigt, dass die überwiegende Mehrheit der Palästinenser in Frieden leben und sie selbst sein wollen, getreu ihrer Identität und ihren Traditionen. Als Zeichen der Solidarität mit ihren Brüdern und Schwestern, die unter der Gewalt im Gazastreifen und in Teilen des Westjordanlandes leiden, verzichteten sie auf alle großen Feiern und beschränkten sich darauf, zu beten und den Ramadan mit ihren Familien zu begehen.

Wie steht es mit den Christen?

BOUWEN : Die christlichen Feiern der Karwoche und des Osterfestes nach dem gregorianischen Kalender fanden im gleichen Geist der Solidarität und Nüchternheit und mit einer besonderen religiösen Inbrunst statt. Bei der Palmsonntagsprozession zeigten die Christen ihren Wunsch, Jesus in seinem Leiden treu zu folgen, geleitet von ihrem Glauben, der sie lehrt, dass dieser Weg zur Auferstehung und zum Sieg über das Böse und den Tod führt. Es ist die Aufgabe der Seelsorger, die Gläubigen in dieser "Hoffnung über die Hoffnung hinaus" zu bestärken, indem sie anerkennen, wie der heilige Paulus im Römerbrief lehrt: „Die Hoffnung aber lässt nicht zugrunde gehen; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.
(Fides 15/4/2024)


Teilen: