AFRIKA/COTE D’IVOIRE - Missionsschwester berichtet über die Heilung „verborgener Wunden“: im Bürgerkrieg mussten Kinder zusehen, wie die eigenen Eltern ermordet wurden

Freitag, 16 September 2011

Abidjan (Fidesdienst) – „Die Situation ist heute im allgemeinen ziemlich ruhig, doch insbesondere am Abend ist man nicht überall sicher: es kommt zu einer unausgesprochenen ‚Ausgangssperre’ und die Menschen bleiben nach acht Uhr lieber zuhause“, so die italienische Ordensschwester Rosaria Giacone von den Schwestern von der Heiligen Familie von Spoleto, die in Cote d’Ivoire in Abobo, einem Viertel der Wirtschaftsmetropole des Landes lebt und arbeitet. Das Viertel war in besonderem Maß von dem jüngst im Land zu Ende gegangenen Bürgerkrieg betroffen. „Es gibt hier immer noch bewaffnete Banden, deren Mitglieder zum Teil Militäruniformen tragen“, so die Ordensfrau, „doch im Vergleich zu den vergangenen Monaten hat sich die Lage gebessert. Die Hubschrauber der UN-Mission in Cote d’Ivoire (UNOCI) fliegen aber weiter über das Viertel“.
Schwester Rosaria ist als Krankenschwestern seit 35 Jahren in Missionsländern tätig und arbeitet derzeit im Krankenhaus in Abobo, wo „sich die Situation durch die zunehmende Armut infolge des Bürgerkriegs zugespitzt hat“. „Die Jugendlichen waren an ein leichtes Leben gewöhnt, heute gehen viele nicht mehr zu Schule und der Drogenkonsum nimmt zu“, bedauert die Schwester, „Ich weiß nicht, ob dabei auch Kokain konsumiert wird, doch ich weiß, dass Drogen im Umlauf sind und dass dies zu dramatischen Situationen führt, denn wenn die Jugendlichen unter dem Einfluss der Drogen stehen, wissen sie nicht mehr, was sie tun. Vor wenigen Tagen hat ein Jugendlicher die eigene Mutter vergewaltigt und sie dann umgebracht“, so Schwester Rosaria.
Die Ordensfrau beschreibt eine verheerende Situation: „Der Krieg hat unabsehbare moralische und psychologische Spuren hinterlassen. Es ist für uns einfach, von Versöhnung und Vergebung zu sprechen, denn wir haben die Gewalt nicht am eigenen Leib erfahren. Doch wer schwer traumatisiert ist, wer seine nächsten Angehörigen auf grausame Weise verloren hat, kann nur schwer mit diesem Thema umgehen. Ein 7jähriges Mädchen weinte jedesmal, wenn ich über Vergebung sprach. Ich habe sie gefragt, warum sie weinen müsse, und sie antwortete mir, dass die Milizionäre ihre Eltern vor ihren Augen ermordet und sie dann gezwungen hatten, deren Blut zu trinken. Man kann das Ausmaß des Traumas, dass dieses Mädchen erlitten hat, nur erahnen“.
„In der Pfarrgemeinde wurde eine Pfarrgruppe ‚Gerechtigkeit, Frieden und Wahrheit’ gegründet“, so die Ordensfrau weiter, „Dort können Menschen mit uns reden, die sich von den Dramen befreien wollen, die ihre Herzen belasten. Wir möchten, dass sie darüber sprechen, damit ihr Herz von dem Leid befreit wird, das sie in sich tragen. Diese Arbeit ist sehr schwierig. Die weit verbreitete Armut hat dazu geführt, dass viele Mädchen sich prostituieren und in vielen Fällen ihre eigenen Familien sie dazu zwingen, damit der Rest der Familie etwas zu Essen hat“.
Zur Situation im Gesundheitswesen betont Schwester Rosaria: „Aids und andere Krankheiten nehmen zu. Kinder sterben, weil es keine Medikamente gibt. Wer Glück hat, kann sie sich selbst beschaffen, weshalb es Reichen gut geht und diese kaum wissen, in welch dramatischer Lage sich andere befinden. Die Armen haben Glück, wenn sie einmal am Tag eine warme Mahlzeit haben. Wir helfen Kranken, die in anderen Krankenhäusern weg geschickt werden, wie zum Beispiel ein junge, der unter einer Nekrose litt, nachdem er von umherirrenden Kugeln getroffen worden war. Als man ihn zu mir brachte, sagte ich: ‚ich kann mein Wissen und meine Liebe zur Verfügung stellen, aber ihr müsst mir das notwendige Material bringen, damit ich ihn versorgen kann. Der junge Mann kommt dreimal in der Woche zu mir, um sich die Wunde säubern zu lassen. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich ein Lächeln auf seinem Gesicht sehe. Die Kranken brauchen auch echtes Mitgefühlt, damit sie genesen können, sie brauchen Menschen, die ihnen sagen: ‚ich habe dich lieb’. Nur die Liebe sorgt dafür, dass es den Menschen gut geht.“
Unterdessen brachte die Ordensfrau auch das Projekt „Baobab“ auf den Weg, in dessen Rahmen eine Schule für die Kinder in Abobo entstehen soll. „Wir haben ein Grundstück gekauft, auf dem die Schule gebaut werden soll, und wir haben nach zahlreichen Schwierigkeiten auch eine Baugenehmigung erhalten“, so Schwester Rosaria, die betont, wie wichtig ein solches Projekt ist: „Wenn junge Menschen keinen Ort haben, an dem sie sich treffen und wo man sie betreut und erzieht, dann haben sie keine Zukunft, besonders dort, wo nach einem Bürgerkrieg nur Traurigkeit und Hass existieren. Wir müssen uns hier vor allem um die Heilung geistiger und moralischer Wunden bei den Menschen kümmern. Wenn ein Kind Lesen und Schreiben lernt und von seinem Unwissen befreit wird, dann entdeckt es auch die eigene Würde. Hätten die jungen Menschen früher eine Kultur des Friedens und der Liebe kennen gelernt, dann hätten sie sich nicht so leicht an die Söldner des jüngsten Krieges verkauft.“ (LM) (Fidesdienst, 16/09/2011)


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