Von Victor Gaetan*
Rom (Fides) – Die lange Pilgerreise von Papst Franziskus in vier Länder, die vom 2. bis 13. September stattfindet, wird von unzähligen und vielfältigen Begegnungen geprägt sein: Junge Länder werden den Papst empfangen und er wird seinerseits versuchen, die Menschen und Verantwortlichen in Indonesien, Papua-Neuguinea, Osttimor und Singapur zu inspirieren.
Die diplomatischen Prioritäten des Papstes, aber auch die erzielten Wirkungen, werden während der gesamten Reise deutlich werden, angefangen bei seinem Engagement für den interreligiösen Dialog, einem Leitmotiv dieses Pontifikats.
Eine Möglichkeit, diese Mission in ihrer ganzen Tragweite zu verstehen, besteht darin, sie durch die vier Prinzipien für das gesellschaftliche Zusammenleben zu betrachten, die Papst Franziskus in seinem Apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“ (EG 217-237) dargelegt hat, da die Realität in jedem der vier Länder, die von der Reise berührt wurden, an eines der vier Prinzipien erinnert: Die Einheit wiegt mehr als der Konflikt, das Ganze ist dem Teil übergeordnet, die Zeit ist mehr wert als der Raum und die Wirklichkeit ist wichtiger als die Ideen.
In seinem Apostolischen Schreiben Evangelii Gaudium (238-258) nennt Papst Franziskus auch drei Bereiche des Dialogs, die für das Streben nach dem Gemeinwohl entscheidend sind: Dialog mit den Staaten, Dialog mit der Gesellschaft und Dialog mit anderen Glaubenden, die nicht zur katholischen Kirche gehören. Seine Reiseroute ist ein Kaleidoskop dieser Prioritäten.
Indonesien: Einheit und Konflikt
Im Interview mit Fides (vgl. Fides 23/8/2024) erklärte der indonesische Kardinal Ignatius Suharyo Hardjoatmodjo, dass die religiöse Harmonie ein Ziel sei, das mit der 1945 erreichten Unabhängigkeit des Landes von den Niederlanden verbunden sei.
„Unsere Beziehungen zur islamischen Gemeinschaft sind wirklich gut. Und diese harmonische Beziehung besteht seit den Anfängen der Nation“, sagte Kardinal Ignatius Suharyo. Es ist eine Art, die gesellschaftliche Einheit über die Spaltung zu stellen.
So förderte das erste Staatsoberhaupt Indonesiens, Präsident Sukarno, den Bau einer Moschee in Jakarta an der Stelle eines niederländischen Schlosses, um die Überwindung des Kolonialismus zu symbolisieren, und in dierkter Nachbarschaft der katholischen Kathedrale aus dem Jahr 1900, um die Freundschaft zwischen den beiden religiösen Traditionen zum Ausdruck zu bringen. Die beiden Bauwerke sind seit kurzem durch einen unterirdischen Tunnel miteinander verbunden.
Papst Franziskus wird sowohl die Kathedrale als auch die Istiqlal-Moschee, die größte Moschee Südostasiens, im Rahmen einer interreligiösen Begegnung besuchen und dabei seine „Wertschätzung gegenüber dem indonesischen Volk, insbesondere im Sinne der Religionsfreiheit und des interreligiösen Zusammenlebens und der Harmonie zwischen den Glaubensgemeinschaften“ zum Ausdruck bringen, erklärte Kardinal Suharyo.
Nach Angaben des indonesischen Ministeriums für religiöse Angelegenheiten umfasst die Bevölkerung etwa 242 Millionen Muslime und 29 Millionen Christen, von denen 8,5 Millionen Katholiken sind, eine Zahl, die weiter wächst.
Papst Franziskus baut unterdessen immer engere Beziehungen zum sunnitischen Islam auf, eine diplomatische Priorität, die er seit 2013 verfolgt, als er ein zerrüttetes Verhältnis zu einem Großteil des Islams erbte.
Wie Papst Franziskus in seinem Apostolischen Schreiben „Evangelii gaudium“ betont, ist Verschiedenheit „schön, wenn sie es annimmt, beständig in einen Prozess der Versöhnung einzutreten“ (EG 230).
Papua-Neuguinea: das Ganze und der Teil
Von den 10 Millionen Menschen, die in Papua-Neuguinea leben, sind mehr als 95 % Christen. Die meisten gehören verschiedenen protestantischen Konfessionen an, während die katholische Kirche mit etwa 30 % der Gläubigen des Landes als größte Glaubensgemeinschaft gilt. Das Christentum hat sich jedoch auf unterschiedliche Weise mit den Praktiken der einheimischen Bevölkerung vermischt, was zu einer kulturell vielfältigen Kirche geführt hat.
Die Herz-Jesu-Missionare (MSC) sind der Orden, der die Präsenz der Kirche im Jahr 1881 begründet hat. Kardinal John Ribat ist ein Herz-Jesu-Missionar und der erste Kardinal des Landes, der 2016 von Papst Franziskus ernannt wurde.
Die lokalen Kirchenführer sind sehr aufmerksam in Bezug auf Umweltfragen und haben seit der Veröffentlichung der Enzyklika „Laudato Si'“ den Umweltschutz zu einer besonderen Priorität gemacht, indem sie sich gegen die Ausbeutung des Bergbaus und die Abholzung der Wälder durch Wirtschaftsunternehmen wenden.
Diese Schutzmaßnahmen sind ein hervorragendes Beispiel für die Erkenntnis, dass das Ganze den einzelnen Teilen übergeordnet ist. In „Evangelii Gaudium“ verwendet der Papst eine Analogie zur Natur, um dieses Prinzip zu beschreiben: „Wir müssen“ immer den Blick weiten, um ein größeres Gut zu erkennen, das uns allen Nutzen bringt. Das darf allerdings nicht den Charakter einer Flucht oder einer Entwurzelung haben. Es ist notwendig, die Wurzeln in den fruchtbaren Boden zu senken und in die Geschichte des eigenen Ortes, die ein Geschenk Gottes ist“ (EG 235).
Osttimor: Zeit und Raum
Bekanntlich ist Osttimor, das 2002 seine Unabhängigkeit erlangt hat, heute das Land mit dem höchsten Anteil an Katholiken in der Welt. Bis 1975 war es eine portugiesische Kolonie und wurde dann bis 1999 von Indonesien besetzt. Verschiedenen Studien zufolge starben während der indonesischen Militärbesatzung mehr als 170.000 Menschen durch willkürliche Hinrichtungen, Verschwindenlassen und Hungersnot.
Bei einem Besuch von Papst Johannes Paul II. im Jahr 1989 (als Osttimor noch von Indonesien besetzt war) wurde die Saat der nationalen Identität gelegt, dabei hat sich die Kirche stets gegen Gewalt ausgesprochen. Indem sie verfolgte Bürger schützte und sich um die Gemeinschaft kümmerte, wuchs der Glaube Schritt für Schritt. Im Jahr 1975 waren etwa 20 Prozent der Bevölkerung katholisch, 1998 waren es bereits 95 Prozent. Dies lag auch daran, dass die Kirche die nationalen Bestrebungen unterstützte.
Der Prozess, durch den Osttimor die Unabhängigkeit erlangte, ist eine hervorragende Anwendung des von Papst Franziskus dargelegten Grundsatzes, dass die Zeit mehr wert ist als der Raum. Der Heilige Geist kann in den Raum eintreten, den die Zeit geschaffen hat; die Zeit lässt das Vertrauen wachsen und die Lösungen vor Ort reifen.
Wie Papst Franziskus in „Evangelii Gaudium“ schreibt: „Dieses Prinzip erlaubt uns, langfristig zu arbeiten, ohne davon besessen zu sein, sofortige Ergebnisse zu erzielen. Es hilft uns, schwierige und widrige Situationen mit Geduld zu ertragen oder Änderungen bei unseren Vorhaben hinzunehmen, die uns die Dynamik der Wirklichkeit auferlegt“ (EG 223). Der Besuch des Papstes im ersten neuen Land des 21. Jahrhunderts, in dem der erste Kardinal der Nation, Virgílio do Carmo da Silva (sdb), der von Papst Franziskus 2022 zum Erzbischof von Dili ernannt wurde, sicherlich ein freudiges Ereignis sein wird.
Singapur: Wirklichkeit und Idee
Der wirtschaftliche Wohlstand und die globale Integration machen Singapur zum am weitesten entwickelten Land, das der Papst besuchen wird. Seine Botschaft zum Thema Umwelt ist wieder aktuell, ebenso wie sein Aufruf zur Regulierung der künstlichen Intelligenz.[3] Franziskus würdigte 2022 einem anderen Erzbischof, den er zum Kardinal ernannt hat (dem ersten in der Geschichte Singapurs), Kardinal William Goh Seng Chye, der im Präsidialrat für religiöse Harmonie sitzt und eng mit der buddhistischen Gemeinschaft, der größten Religionsgemeinschaft des Landes, zusammenarbeitet.
Papst Franziskus bewundert das ausdrückliche Engagement der singapurischen Behörden für die Gewährleistung der Religionsfreiheit und die Zusammenarbeit mit allen Glaubensrichtungen. Kardinal Goh erklärte gegenüber EWTN Vatican: „Der Staat sieht uns als Partner. Wir sind Partner der Regierung, weil es um das Gemeinwohl des Volkes geht. Wir kümmern uns um die spirituellen Bedürfnisse, wir helfen der Regierung, gerecht zu regieren, wir äußern unsere Meinung, und die Regierung ist uns sehr dankbar“.
Der Papst bewundert auch die Außenpolitik Singapurs, die eine Abhängigkeit von einer Weltmacht vermeidet, was seiner Vision einer multipolaren Welt entspricht, die die Autonomie der Kulturen respektiert. Er beschreibt diese Vision der Globalisierung oft mit dem Bild des Polyeders oder des Fußballs: alle Kulturen sollten wie die Seiten eines Polyeders nebeneinander existieren und sich entfalten können, ohne dass die homologisierende Dominanz eines einzelnen Staates vorherrscht.
Der Grundsatz lautet, dass die Wirklichkeit wichtiger ist als die Idee. Wie er in „Evangelii Gaudium“ erklärt: „Es ist gefährlich, im Reich allein des Wortes, des Bildes, des Sophismus zu leben“ (EG 231).
Mit seiner Reise nach Asien und Ozeanien in dieser Woche taucht Papst Franziskus ein in die Realität. Millionen von Christen, Muslimen, Buddhisten und Menschen, die sich zu keinem Glauben bekennen, werden mit Freude den Segen des Nachfolgers Petri erleben und empfangen. Möge Gott sein Wirken in der Welt weiterhin segnen.
(Fides 2/9/2024)
*Victor Gaetan ist leitender Korrespondent des „National Catholic Register“ und berichtet über internationale Angelegenheiten. Er schreibt auch für die Zeitschrift „Foreign Affairs“ und hat Beiträge für den „Catholic News Service“ verfasst. Sein Buch „God's Diplomats: Pope Francis, Vatican Diplomacy, and America's Armageddon“ (Rowman & Littlefield, 2021) ist im Juli 2023 als Taschenbuch erscheinen. Besuchen Sie seine Website unter VictorGaetan.org.