Port au Prince (Fidesdienst) - „Die Gerüchte hatten sich gegen Mitternacht in der Nacht von Samstag auf Sonntag verfestigt“, bekräftigt der Mitarbeiter des Freiwilligenverbandes für Internationale Zusammenarbeit (Associazione di Volontariato per lo Sviluppo Internazionale, AVSI), Carlo Maria Zorzi, gegenüber dem Fidesdienst. „Aristide hat gegen vier Uhr morgens am 29. Februar seinen Rücktritt beschlossen und die Rücktrittserklärung gegen 6 Uhr unterschrieben - und sie damit begründet, sie sei notwendig, um ein Blutbad zu vermeiden - bevor er in ein von amerikanischen Marines eskortiertes Auto stieg, das ihn zum Flughafen brachte. Außer seiner Frau reisten mit Aristide 41 Personen aus seinem näheren Umkreis mit; das Flugzeug flog zunächst in Richtung Santo Domingo, von wo aus die Reise nach Marokko weitergehen sollte, das jedoch kein politisches Asyl gewähren wollte. Das Präsidentenflugzeug machte eine Zwischenlandung in Antigua und erst am Sonntagabend wurde bekannt, dass Panama provisorisches politisches Asyl zugesichert hatte.“
Es folgt der Bericht Carlo Maria Zorzi: „Die Abreise von Aristide war sehr geheimnisvoll, weil der ehemalige Präsident seine Abreise nicht im voraus planen konnte. Geheimnisumwoben ist auch der ad-interims-Präsident, Boniface Alexandre, bei dem es sich der Verfassung des Landes entsprechend um den Vorsitzendes Verfassungsgerichts handelt. Gerüchten zufolge, soll er zwar das Amt angenommen haben jedoch noch nicht vereidigt worden sein. Gewiss ist jedoch, dass es nichts Offizielles gibt, keine Antrittrede und kein offizielles Rücktrittsdokument. Dadurch entsteht ein gefährliches Machtvakuum. Der Premierminister gab im Rahmen einer Pressekonferenz am Sonntag, um 10 Uhr offiziell den Rücktritt Aristides bekannt. Dabei wurde er von Boniface Alexandre begleitet, der die Bürger zur Ruhe aufrief. Unter den Anhängern Aristides kam es aus Protest gegen dessen Rücktritt zu Episoden der Gewalt, bei denen nach ersten Angaben in Port au Prince mindestens 4 Menschen starben. Außerdem wurde das Landwirtschaftsministerium, die Fakultät für Agronomie, Bangen, Fabriken, Geschäfte und die Redaktionen von Radio- und Fernsehsender geplündert zerstört. Ausgeplündert wurden auch zahlreiche Privatwohnungen.
Chaos, Anarchie, Unruhen beherrschten die Hauptstadt, die sich immer noch in den Händen bewaffneter Banden befindet. Drei Polizeikommissare unterzeichneten ein Dokument, in dem sie die Polizeibeamten baten ihre Uniformen und ihren Dienstausweis zu tragen und in die Kommissariate zurück zu kehren, um ihren Dienst zum Schutz der Bevölkerung und zur Wiederherstellung der Ordnung wieder aufzunehmen. Nur mühsam gelang es der Polizei, die Beachtung der Ausgangssperre von 18.00 bis 6.00 Uhr zu gewährleisten.
Unterdessen sind zwei amerikanische „Hercules“-Flugzeuge auf dem Flughafen von Port au Prince gelandet und bereits morgen soll ein amerikanisches Kontingent stationiert werden. Aus Frankreich sollen 1.500 Soldaten kommen. Auch Brasilien hat bereits Soldaten zur Bewachung des eigenen Botschaftsgebäudes und der in Haiti Lebenden Staatsbürger aus lateinamerikanischen Ländern entsandt. Die Aufständischen gaben unterdessen bekannt, sie würden in der Nacht oder morgen früh in die Hauptstadt kommen. Es gibt im Grunde aber keinen Grund mehr zu kämpfen, nachdem der Staatspräsident wie gefordert das Land verlassen hat. Doch es werden Auseinandersetzungen zwischen bewaffneten Banden befürchtet, die bisher in der Hauptstadt agierten. Die Stationierung von amerikanischen Soldaten soll den Ausbruch eines Guerillakriegs in den kommenden Tagen vermeiden. Vielleicht wird sich die Situation wieder normalisieren, obschon in den Straßen weiterhin Schüsse zu hören sind. Mit unserem Bleiben auch in diesen schwierigen Momenten wollen wir nicht unseren Heldenmut unter Beweis stellen, sondern den Menschen mit unseren Nothilfe- und Entwicklungsprojekten zu Seite stehen. Wir werden weitere Vorbereitungen treffen, damit wir mit unserer Arbeit beginnen können, sobald die Sicherheitslage uns dies ermöglicht. Es dürfte nicht mehr allzu lange dauern. (LM) (Fidesdienst, 1/3/2004 - 52 Zeilen, 582 Worte)