Afrika/Sierra Leone - Ehemalige Kindersoldaten: Ein Missionar berichtet aus Sierra Leone

Donnerstag, 29 Januar 2004

Freetown (Fidesdienst) – „Nachdem alle Kindersoldaten inzwischen ihre Waffen abgegeben haben, beginnt nun die schwierige Phase ihrer Wiedereingliederung in die Gesellschaft“, so der italienische Xaverianer Missionar Pater Giuseppe Berton, der seit langem in Sierra Leone tätig ist und dort viel Erfahrung im Umgang mit Kindern hat, die für den Bürgerkrieg rekrutiert wurden.
„Die größter Herausforderung, vor der wir stehen besteht darin, diesen Kindern und Jugendlichen ihrer Identität zurückzugeben“, so Pater Berton. „Die meisten sind noch Kinder, denn sie haben einige Phasen ihrer psychologischen Reifung übersprungen, doch sie mussten in den Jahren des Bürgerkriegs auch schreckliche Erfahrungen machen. Sie waren an der Gewalt beteiligt, die das Land erschüttert hat. Heute fällt es Zivilisten oft schwer, diese Kinder und Jugendlichen zu akzeptieren und sie auf dem Weg zu einer normalen Existenz zu unterstützen.“
Nach Aussage von Pater Berton, „ist es auch für die Kinder nicht einfach, sich wieder an das zivile Leben anzupassen“. „Sie wurden aus ihren Familien herausgerissen als sie noch klein waren und kennen praktisch nur den Krieg. Viele Kinder haben heute weder eine Familie noch ein Zuhause. Dies führt oft dazu, dass die Kinder und Jugendlichen nicht mehr in der Lage sind, sich anzupassen“, so Pater Berton. „In den Städten werden die Menschen anhand einer Reihe von Daten identifiziert: sie haben eine Anschrift, einen Arbeitspalt, usw. Diese Kinder und Jugendlichen haben so etwas nicht. Es gehört deshalb zu unseren wichtigsten Aufgaben, ihnen ein Zuhause und eine Familie zu geben, damit sie zu ihrer Identität in der Gesellschaft zurückfinden. Sie brauchen ein Umfeld, in dem sie sich selbst wieder erkennen und identifizieren können.“
„Diese Probleme treten besonders bei älteren Jugendlichen auf, die sich an der Schwelle zum Erwachsenenalter befinden, ohne über eine Ausbildung oder einen Arbeitsplatz zu verfügen. Wir versuchen sie deshalb auch Alphabetisierungs-Projekte einzugliedern und ihnen Möglichkeiten zur Ausbildung an Berufsschulen zu bieten“.
„Kleinere Kinder besuchen die Schule, weshalb es für sie vielleicht einfacher ist, den gewaltsam unterbrochenen Weg des Wachstums wieder aufzunehmen“, betont der italienische Missionar, „Leider können wir nicht allen helfen, weshalb viele in den teuflischen Kreislauf der Drogen gelangen, was ein weiteres dramatisches Problem darstellt.“
„Der Krieg hat tiefe Wunden im Land hinterlassen, doch die Kinder, die selbst gekämpft haben, empfinden keinen Hass. Wen sie sich treffen und sich an die dramatischen Tage des Krieges erinnern, dann lachen sie dabei oft. Dann sagt einer: ‚An diesem Tag haben wir jenes Dorf angegriffen, wo warst du?’, dann sagt ein anderer „Ich war auf der anderen Seite und bin vor dir geflohen’. Und dann müssen alle lachen“, so Pater Berton.
Der Bürgerkrieg war in Sierra Leone 1991 ausgebrochen und dauerte mit wechselnden Phasen bis zum Januar 2002. Während der Jahre des Krieges wurden Zivilisten in weiten Teilen des Landes Opfer grausamer Gewalt: Entführungen, Verstümmelungen, Vergewaltigungen, Zwangsrekrutierung von Kindersoldaten waren an der Tagesordnung. Für die meisten dieser Verbrechen wurden die Rebellen der RUF verantwortlich gemacht. Derzeit ermittelt ein eigens für sie geschaffenes Gericht der Vereinten Nationen gegen sie. Unter den Angeklagten befindet sich auch der ehemalige liberianische Staatspräsident Charles Taylor, der die Milizen der RUF im Tausch gegen Diamanten aus den von den Guerillagruppen aus Sierra Leone kontrollierten Gebieten unterstützte.
Nach Angaben der Vereinten Nationen wurden von Mai 2001 bis Januar 2002 insgesamt 6.846 Kindersoldaten gezählt, die in den Reihen der Rebellen aber auch mit den Regierungsstreitkräften gekämpft haben.
Kindersoldaten werden weiterhin in Bürgerkriegen in Burundi, Kolumbien, in der Demokratischen Republik Kongo, Cote d’Ivoire, Liberia, Tschetschenien, Myanmar, Nepal, auf den Philippinen, in Somalia, im Sudan und in Uganda eingesetzt. (LM) (Fidesdienst, 29/1/2004 – 52 Zeilen, 594 Worte)


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