VATIKAN - Papst und Mission: «Ohne Jesus können wir nichts vollbringen»

Montag, 4 November 2019 papst franziskus   mission   missionarische Öffentlichkeitsarbeit  

Vatikanstadt (Fides) - „Ohne Jesus können wir nichts vollbringen“ heißt ein neues Interviewbuch mit Papst Franziskus, das an diesem Dienstag auf Italienisch erscheint. Am Ende des Außerordentlichen Monats der Weltmission veröffentlichen wir vorab einige Auszüge aus diesem langen Interview, in dem Franziskus betont: „Kirche ohne Verkündigung ist keine Kirche“. Das Buch wird vom Verlag Libreria Editrice Vaticana in Zusammenarbeit mit Edizioni San Paolo herausgegeben und ist ab dem 5. November erhältlich.

„Die Freude des Evangeliums erfüllt das Herz und das gesamte Leben derer, die Jesus begegnen”. So beginnt das Apostolische Schreiben Evangelii gaudium von Papst Franziskus, das im November 2013 veröffentlicht wurde, acht Monate nach dem Konklave, das ihn zum Bischof von Rom und Petrusnachfolger gewählt hatte. Dieser für das Pontifikat programmatische Text forderte alle auf, jede Handlung, jede Reflexion und jede kirchliche Initiative erneut „auf die Verkündigung des Evangeliums in der heutigen Welt“ abzustimmen. Fast sechs Jahre später rief der Papst den Außerordentlichen Monat der Weltmission im Oktober 2019 aus und berief zeitgleich in Rom die Sonderversammlung der Bischofssynode für die Amazonasregion ein, um neue Wege der Verkündigung des Evangeliums in der „grünen Lunge“ zu erörtern, die von einer räuberischen Ausbeutung gepeinigt ist, die „unseren Geschwistern und unserer Schwester Erde“ Wunden zufügt (Papst Franziskus, Heilige Messe zum Abschluss der Bischofssynode für die Amazonasregion).
Während dieser Jahre hat Papst Franziskus in seiner Lehre immer wieder eindringliche Hinweise auf das Wesen der Sendung der Kirche in der Welt gegeben. Zum Beispiel hat der Papst mehrfach wiederholt, dass die Verkündigung des Evangeliums kein „Proselytismus“ ist und dass die Kirche „durch Anziehung“ und „durch Zeugnis“ wächst. Eine Konstellation von Begriffen, die Hinweise darauf geben möchte, wie die Dynamik jedes apostolischen Handelns aussehen muss und welche dabei die Quellen sind.
Darüber und über viele andere Themen spricht Papst Franziskus im Interviewbuch mit dem Titel „Ohne Jesus können wir nichts vollbringen“. (Originaltitel:„Senza di Lui non possiamo nulla. Una conversazione sull’essere missionari oggi nel mondo“). Die vatikanische Missionsnachrichtenagentur Fides bietet eine Vorschau anhand einiger Auszüge.

Sie sagten einmal, dass Sie als junger Mann als Missionar nach Japan gehen wollten. Können wir sagen, dass der Papst ein verhinderter Missionar ist?
Ich weiß es nicht. Ich schloss mich den Jesuiten an, weil mich ihre missionarische Berufung beeindruckte, die Tatsache, dass sie immer an die Grenzen gingen. Ich konnte damals nicht nach Japan. Aber ich habe immer gespürt, dass die Verkündigung Jesu und seines Evangeliums immer ein gewisses Hinausgehen und einen Aufbruch mit sich bringt.

Sie sprechen immer wieder von „Kirche im Aufbruch“. Der Ausdruck wird von vielen aufgegriffen und scheint fast schon zu einem Slogan geworden zu sein, den immer mehr Menschen auch missbräuchlich benutzen, wenn sie darüber referieren, wie die Kirche sein sollte und wie nicht.
„Kirche im Aufbruch“ ist kein neuer Begriff, den ich selbst erfunden hätte. Es ist das Gebot Jesu, der die Seinen im Markusevangelium auffordert, in die ganze Welt zu gehen und das Evangelium „der ganzen Schöpfung“ zu verkünden. Die Kirche ist entweder im Aufbruch oder sie ist keine Kirche. Eine Kirche, die nicht verkündet, ist keine Kirche. Wenn die Kirche nicht hinausgeht, ist sie verdorben und entspricht nicht mehr ihrer Natur. Sie wird zu etwas anderem.

Was wird aus einer Kirche, die nicht hinausgeht und nicht verkündet?
Sie wird zu einer spirituellen Vereinigung. Zu einem multinationalen Unternehmen, das Initiativen und Botschaften mit ethischen und religiösen Inhalten auf den Weg bringt. Das ist nicht schlecht, aber es ist nicht die Kirche. Diese Gefahr birgt jede statische Organisation in der Kirche. Am Ende zähmen wir Christus. Man bezeugt nicht mehr, was Christus bewirkt, sondern man spricht im Namen einer bestimmten Vorstellung von Christus. Eine Idee, die man besitzt und domestiziert. Man organisiert Dinge, man wird zum kleinen Veranstalter des kirchlichen Lebens, in dem alles nach einem festgelegten Programm geschieht, das nur nach den Anweisungen zu befolgen ist. Doch es kommt nicht zur Begegnung mit Christus. Es kommt nicht mehr zu dieser Begegnung, die zu Beginn unser Herz berührt hat.

Ist die Mission ein Allheilmittel gegen all das? Reichen der Wille und die Anstrengung aus, „hinauszugehen“ in die Mission, um diese Verzerrungen zu vermeiden?
Die Mission, die „Kirche im Aufbruch“, ist kein Programm, eine Absicht, die durch Willensanstrengung verwirklicht werden soll. Es ist Christus, der die Kirche aus sich heraus gehen lässt. Bei der Mission, das Evangelium zu verkünden, bricht man auf, weil der Heilige Geist einen drängt und trägt. Und wenn du ankommst, merkst du, dass Er vor dir da war und auf dich wartet. Der Geist des Herrn war zuerst da. Er geht voraus, auch um den Weg ebnen, und er hat sich schon ans Werk gemacht.

Bei einem Treffen mit den Päpstlichen Missionswerken haben Sie angeregt, die Apostelgeschichte als einen gewohnheitsmäßigen Gebetstext zu lesen. Die Geschichte der Anfänge und kein Handbuch „moderner" Missionsstrategien. Weshalb?
Die Protagonisten der Apostelgeschichte sind nicht die Apostel. Der Protagonist ist der Heilige Geist. Die Apostel erkennen und bezeugen ihn zuerst. Als sie der Gemeinde von Antiochia die auf dem Konzil von Jerusalem festgelegten Beschlüsse mitteilten, schrieben sie: „Vom Heiligen Geist geleitet, haben wir nämlich beschlossen“. Sie erkannten realistisch an, dass der Herr es war, der der Gemeinschaft jeden Tag „diejenigen hinzufügte, die gerettet waren“, und nicht die menschliche Überzeugungskraft.

Und ist es heute noch wie damals? Hat sich nichts geändert?
Die Erfahrung der Apostel ist wie ein Paradigma, das für immer gültig ist. Man muss nur daran denken, wie die Dinge in der Apostelgeschichte wie von selbst und ohne Zwang geschehen. Es sind Ereignisse und Geschichten, in denen die Jünger immer als Zweite ankommen, sie kommen immer nach dem Heiligen Geist, der handelt. Er bereitet vor und wirkt in den Herzen. Er bringt ihre Pläne durcheinander. Er begleitet sie, führt sie und steht ihnen unter allen Umständen bei, was immer sie auch tun. Selbst als sie sich mit Problemen und Verfolgungen konfrontiert sehen, wirkt der Heilige Geist in noch überraschenderer Weise mit seinem Beistand, seinem Trost. Wie nach dem ersten Märtyrertod, dem Tod des heiligen Stephanus.

Was geschah dann?
Es begann eine Zeit der Verfolgung, und viele Jünger flohen aus Jerusalem nach Judäa und Samaria. Und dort begannen sie, während sie zerstreut und auf der Flucht waren, das Evangelium zu verkünden, obwohl sie allein waren und ohne die Apostel, die in Jerusalem geblieben waren. Sie wurden getauft und der Heilige Geist gab ihnen apostolischen Mut. Dort sehen wir zum ersten Mal, dass die Taufe ausreicht, damit wir Verkünder des Evangeliums werden. Das ist die Mission. Die Mission ist Sein Werk. Es ist nützt nichts, in Aktionismus zu verfallen. Es besteht keine Notwendigkeit, uns zu organisieren, keine Notwendigkeit, laut zu schreien. Man braucht keine Ideen oder strategische Pläne. Alles, was wir tun müssen, ist zu bitten, die Erfahrung wiederholen zu dürfen, die uns sagen lässt: „Geleitet vom Heiligen Geist, haben wir nämlich beschlossen“.

Und wenn es eine solche Erfahrung nicht gibt, welchen Sinn haben Rufe nach missionarischer Mobilisierung?
Ohne den Heiligen Geist ist das missionarische Handeln etwas anderes. Ich würde sagen, es wird zu einer Art Projekt, der Anspruch einer Eroberung, die wir verwirklichen. Eine religiöse oder vielleicht ideologische Errungenschaft, vielleicht sogar mit guten Absichten. Aber es ist etwas anderes.

Papst Benedikt XVI. zitierend, wiederholen Sie oft, dass die Kirche durch Anziehung wächst. Was genau ist damit gemeint? Wer zieht an? Wer wird angezogen?
Jesus sagt es im Johannesevangelium. „Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen.“ Im selben Evangelium sagt er auch: „Niemand kann zu mir kommen, wenn nicht der Vater, der mich gesandt hat, ihn zieht.“ Die Kirche wusste immer, dass dies die richtige Form der Bewegung ist, die uns Jesus und dem Evangelium näher bringt. Keine Überzeugung, kein Argument, kein Bewusstwerden. Kein Druck oder Zwang. Es ist immer eine Anziehungskraft. Schon der Prophet Jeremia sagt: „Du hast mich betört, und ich ließ mich betören.“ Und das gilt auch für die Apostel, die Missionare und ihre Arbeit.

Wie geschieht das, was Sie gerade beschrieben haben?
Das Gebot des Herrn, hinauszugehen und das Evangelium zu verkünden, drängt von innen heraus, indem wir uns verlieben, indem wir der Anziehungskraft erliegen. Man folgt Christus nicht nach, und noch weniger wird man ein Verkünder Jesu und seines Evangeliums, weil wir die Entscheidung am Tisch getroffen haben, oder selbst einen Aktivismus auf den Weg bringen. Auch missionarische Begeisterung kann nur dann fruchtbar sein, wenn sie im Rahmen dieser Anziehungskraft stattfindet und wenn sie diese an andere weitergibt.

Was bedeuten diese Worte in Bezug auf die Mission und die Verkündigung des Evangeliums?
Es bedeutet, wenn wir von Christus angezogen sind, wenn wir uns auf den Weg machen und Dinge tun, weil wir von Christus angezogen sind, dann werden es andere bemerken, ohne dass wir große Anstrengungen unternehmen. Es ist nicht nötig, es zu beweisen, geschweige denn es zur Schau zu stellen. Wer stattdessen denkt, er müsse als Protagonist oder Manager der Mission auftreten, zieht trotz all seiner guten Vorsätze und Absichten oft niemanden an.

Sie schreiben im Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium, dass all dies „Schwindelgefühl hervorrufen kann“. Es ist wie ein Eintauchen in ein Meer, wir wissen nicht, was auf uns zukommen wird. Was wollten Sie uns mit diesem Bild sagen? Trifft dies auch für die Mission zu?
Die Mission ist kein bewährtes Unternehmensprojekt. Sie ist auch keine Show, die veranstaltet wird, um dann nachzuzählen, wie viele Menschen dank unserer Werbung daran teilnehmen. Der Heilige Geist arbeitet, wie Er will, wann und wo Er will. Und das kann zu Schwindelgefühlen führen. Doch der Gipfel der Freiheit liegt genau darin, sich vom Heiligen Geist tragen zu lassen und darauf zu verzichten, alles berechnen und kontrollieren zu wollen. Und genau darin ahmen wir Christus selbst nach, der im Geheimnis seiner Auferstehung gelernt hat, in der zärtlichen Umarmung des Vaters zu ruhen.
Die geheimnisvolle Fruchtbarkeit der Mission besteht nicht in unseren Absichten, in unseren Methoden, in unseren Impulsen und in unseren Initiativen, sondern beruht genau auf diesem Schwindelgefühl: dem Schwindelgefühl, das vor den Worten Jesu ausgeht, wenn er sagt: „Ohne mich könnt ihr nichts vollbringen."

Sie wiederholen auch gerne, dass die Kirche „durch Zeugnis“ wächst. Was möchten Sie mit diesem Hinweis, den Sie unterstreichen, zu verstehen geben?
Die Tatsache, dass die Anziehung sich bei uns in Zeugnis verwandeln wird. Der Zeuge macht sichtbar, was das Werk Christi und des Heiligen Geistes in seinem Leben wirklich vollbracht hat. Nach der Auferstehung ist es Christus selbst, der sich den Aposteln offenbart. Er macht sie zu Zeugen. Auch wenn das Zeugnis keine eigene Leistung ist, ist man Zeuge der Werke des Herrn.

Oft wiederholen Sie auch etwas Anderes: Die Kirche wächst nicht durch Proselytismus und die Mission der Kirche ist kein Proselytismus. Warum so viel Nachdruck? Sollen dadurch gute Beziehungen zu anderen Kirchen und der Dialog mit anderen Religionen ermöglicht werden?
Das Problem mit dem Proselytismus ist nicht nur die Tatsache, dass er dem ökumenischen Weg und dem interreligiösen Dialog widerspricht. Es kommt zu Proselytismus überall dort, wo die Vorstellung besteht, die Kirche könne ohne die Anziehungskraft Christi und das Wirken des Geistes wachsen und sich auf eine Art „klugen Diskurs“ beschränken. Der Proselytismus schließt in erster Linie Christi selbst und den Heiligen Geist aus der Mission aus, auch wenn man behauptet, im Namen Christi zu sprechen und zu handeln. Proselytismus ist von Natur aus immer gewalttätig, auch wenn man die Gewalt verbirgt und mit Samthandschuhen vorgeht. Er akzeptiert weder die Freiheit noch die Unentgeltlichkeit, mit der der Glaube durch Gnade von Mensch zu Mensch weitergegeben werden kann. Deshalb gehört Proselytismus nicht nur der Vergangenheit an, der Zeit des Kolonialismus oder der erzwungenen Bekehrung oder des Kaufs mit dem Versprechen materieller Vorteile. Es kann auch heute noch zu Proselytismus kommen, sogar in Pfarreien, in Gemeinden und in Bewegungen oder in Ordensgemeinschaften.

Was bedeutet es also, das Evangelium zu verkünden?
Die Verkündigung des Evangeliums bedeutet, das Zeugnis Christi in einfachen und genauen Worten zu überbringen, wie es die Apostel machten. Überzeugende Reden müssen jedoch nicht neu erfunden werden. Die Verkündigung des Evangeliums kann auch geflüstert werden, aber sie findet immer durch die schockierende Kraft des Skandals des Kreuzes statt. Und sie folgt dem Weg, der im Brief des heiligen Apostels Petrus vorgegeben ist, der darin besteht, „Rede und Antwort zu stehen“ gegenüber denen, die nach der Hoffnung fragen. Eine Hoffnung, die in den Augen der Welt als Skandal und Torheit gilt.

Woran erkennt man dann christliche „Mission“?
Eine Besonderheit besteht darin, als Vermittler und nicht als Kontrolleure des Glaubens zu agieren. Wir sollen den Glauben begünstigen, erleichtern, und nicht dem Wunsch Jesu im Weg stehen, alle zu umarmen, zu heilen und zu retten. Keine Auswahl treffen und keine „pastoralen Zollschranken aufstellen“. Nicht als Türsteher auftreten, um zu prüfen, ob andere zum Eintritt berechtigt sind. Ich erinnere mich an die Pfarrer und Gemeinden in Buenos Aires, die viele Initiativen ergriffen, um den Zugang zur Taufe zu erleichtern. Sie hatten festgestellt, dass seit Jahren die Zahl der Taufen zurückging, aus unterschiedlichen Gründen auch soziologischer Art. So erinnerten sie daran, dass die Taufe einfach ist, etwas, das alle für sich und für ihre Kinder erbitten können. Der Weg dieser Pfarrer und Gemeinden war folgender: keine Bürden hinzufügen, keine Ansprüche erheben und kulturelle, psychologische oder praktische Schwierigkeiten beseitigen, die die Menschen dazu bringen könnten, die Absicht zur Taufe für sich und ihre Kinder aufzuschieben oder ganz fallen zu lassen.

In Amerika diskutierten die Missionare zu Beginn der Evangelisierung darüber, wer „würdig" ist, getauft zu werden. Wie sind diese Streitigkeiten zu Ende gegangen?
Papst Paul III. wies die Theorien derer zurück, die behaupteten, die Indianer seien von Natur aus „unwürdig“, das Evangelium anzunehmen, und bestätigte stattdessen die Vorstellung derer, die ihre Taufe fördern wollten. Es scheint sich um Episoden aus der Vergangenheit zu handeln, und doch gibt es auch heute noch Kreise und Sektoren, die sich als „ilustrados“, Erleuchtete, betrachten und die Verkündigung des Evangeliums einer verzerrten Logik unterordnen, die die Welt zwischen „Zivilisation“ und „Barbarei“ aufteilt. Die Vorstellung, dass der Herr unter seinen Begünstigten auch viele „cabecitas negras“ (wörtlich: schwarze Köpfchen) hat, irritiert sie, macht ihnen schlechte Laune. Sie betrachten einen großen Teil der menschlichen Familie als Unterschicht, die nach ihren Maßstäben nicht dazu imstande sei, geistig und intellektuell ein angemessenes Niveau zu erreichen. Auf dieser Basis kann sich eine Verachtung gegenüber Völkern entwickeln, die man auf der niedrigeren Ebene verortet. All dies kam auch bei der Bischofssynode über die Amazonasregion zur Sprache.

Manche neigen dazu, die klare Verkündigung des Glaubens und soziales Engagement als dialektische Alternativen zu sehen. Sie sagen, dass man die Mission nicht auf die Unterstützung der sozialen Arbeit beschränken dürfe. Ist dies ein berechtigtes Anliegen?
Alles, was sich innerhalb des Horizonts der Seligpreisungen und der Werke der Barmherzigkeit befindet, stimmt mit der Mission überein, denn es ist bereits Verkündigung und Mission. Die Kirche ist keine NGO, die Kirche ist etwas anderes. Die Kirche ist aber auch ein Feldlazarett, in dem jeder so willkommen ist, wie er ist, um die Wunden aller zu heilen. Und das ist Teil ihrer Mission. Alles hängt von der Liebe ab, die das Herz derer bewegt, die die Dinge tun. Wenn ein Missionar dabei hilft, in Mosambik einen Brunnen zu graben, weil er bemerkt hat, dass er denjenigen dient, die er tauft und denen er das Evangelium predigt, wie kann man dann sagen, diese Arbeit sei nicht mit der Verkündigung vereinbar?

Worauf muss man heute bei den Prozessen achten, die die Verkündigung des Evangeliums in den verschiedenen sozialen und kulturellen Kontexten fruchtbar machen sollen?
Das Christentum hat kein einheitliches kulturelles Modell. Wie Johannes Paul II. betonte, bewahrt das Christentum „voll seine eigene Identität in totaler Treue zur Verkündigung des Evangeliums und zur Tradition der Kirche und trägt auch das Angesicht der vielen Kulturen und Völker, in die es hineingegeben und verwurzelt wird“. Der Heilige Geist verschönert die Kirche mit den neuen Ausdrucksformen von Personen und Gemeinschaften, die das Evangelium annehmen. So wird die Kirche, die die Werte verschiedener Kulturen annimmt, zu „sponsa ornata monilibus suis“, zur „Braut, die ihr Geschmeide anlegt“, von der der Prophet Jesaja spricht. Es ist richtig, dass einige Kulturen eng mit der Verkündigung des Evangeliums und der Entwicklung des christlichen Denkens verbunden waren. Aber in der Zeit, in der wir heute leben, müssen wir besonders dringend bedenken, dass die geoffenbarte Botschaft sich mit keiner Kultur identifiziert. Und in der Begegnung mit neuen Kulturen oder mit Kulturen, die die christliche Verkündigung nicht angenommen haben, dürfen wir nicht versuchen, zusammen mit dem Angebot des Evangeliums eine bestimmte kulturelle Form aufzuzwingen. Auch bei der Missionsarbeit ist es heute umso wichtiger, kein schweres Gepäck zu tragen.

Sie haben oft an die enge Verbindung zwischen Mission und Martyrium erinnert.
Im christlichen Leben haben die Erfahrung des Martyriums und die Verkündigung des Evangeliums unter allen Menschen denselben Ursprung, dieselbe Quelle, dort wo die Liebe Gottes, die vom Heiligen Geist in unsere Herzen gegossen wird, uns Kraft, Mut und Trost spendet. Das Martyrium ist der höchste Ausdruck der Anerkennung und des Zeugnisses, das wir von Christus gegeben können, und die Erfüllung der Sendung, des apostolischen Werkes. Ich denke immer an die in Libyen hingerichteten koptischen Brüder, die während ihrer Enthauptung leise den Namen Jesu aussprachen. Ich denke an die Schwestern der heiligen Mutter Teresa, die im Jemen getötet wurden, während sie sich um die muslimischen Patienten eines Heims für ältere Menschen mit Behinderung kümmerten. Als man sie tötete, hatten sie Arbeitsschürzen über ihren Ordensgewändern getragen. Sie sind alle Sieger, keine „Opfer“. Und ihr Martyrium bis hin zum Blutvergießen beleuchtet das Martyrium, das jeder im täglichen Leben erleiden kann, wenn er im Alltag Zeugnis von Christus gibt. Dies kann man auch sehen, wenn man die Altersheime der Missionare besuchen, Menschen, die oft gezeichnet sind von dem Leben, das sie geführt haben. Ein Missionar erzählte mir, dass viele von ihnen das Gedächtnis verlieren und sich nicht mehr an das Gute erinnern, das sie getan haben. „Aber das spielt keine Rolle“, sagte dieser Missionar zu mir, „denn der Herr erinnert sich sehr gut daran.“
(GV) (Fides 04/11/2019)


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