ASIEN/AFGHANISTAN - Schwelender Konflikt zwischen nationaler und ethnischer Identität: Zahl der zivilen Opfer steigt

Montag, 20 August 2018 kriege   ethnische minderheiten   frieden   gewalt   zivilgesellschaft  

Hrw

Kabul (Agenzia Fides) - "Die Stammeszugehörigkeit ist in Afghanistan ein heikles Thema, das normalerweise vermieden wird, weil die Betonung dieses Aspekts eine Art kulturelles Tabu unter den Afghanen ist. Gleichzeitig ist es ein Thema, das das Leben des Landes während der vier Jahrzehnten des Konflikts stark beeinflusst hat und dies noch immer tut", so Fabrizio Foschini, Forscher und Analyst des "Afghanistan Analysts Network".
Foschini erklärt, dass die prioritäre Forderung, allen ethnischen Gruppen einen Platz in der Regierung zu garantieren, eines der Dogmen war, die die internationale Gemeinschaft nach dem Sturz der Taliban im Jahr 2001 am dringendsten durchzusetzen versuchte, was jedoch oft negative Folgen hatte: „Die afghanische Gesellschaft erkennt zumindest weiterhin offiziell die absolute Notwendigkeit dieses repräsentativen Pluralismus an, weshalb die entsprechenden Mechanismen fortbestehen. Dies zeigen die verschiedenen Koalitionen, die in den letzten Jahren regiert haben und die immer das Ergebnis von Kompromissen zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen waren". Gleichzeitig "fischen die so genannten ‚warlords’ in den trüben Gewässern Außenpolitik: ohne eine andere Art von Legitimität verlassen sie sich auf die Ängste und das gegenseitige Misstrauen, das die Erinnerung an den Bürgerkrieg unter den Afghanen hinterlassen hat. Zwar akzeptieren sie formell die ‚politisch korrekte’ nationale Einheit, versprechen aber innerhalb der Gemeinschaften, ausschließlich die Interessen ihrer jeweiligen Gruppe zu verteidigen."
Nach Ansicht des Analytikers wird das Thema oft aus Gründen der Sensibilität nicht angesprochen: "Die Wahrnehmung vieler Afghanen ist, dass Ausländer, die in diese Dynamik eindringen, Schaden verursachen, aus Oberflächlichkeit oder Bosheit, nur damit eine bestimmte politische Agenda verwirklicht werden kann. Auf der einen Seite haben die Afghanen nicht unrecht, aber gleichzeitig wäre es angesichts der ernsten Lage im Land und der zunehmenden Radikalisierung bestimmter Positionen zum Thema nationale und ethnische Identität dringend notwendig, dieses Problem in Angriff zu nehmen."
Foschini ist versucht jedoch auch eine positive Einschätzung des Phänomens, was auf lange Sicht eine größere politische Beteiligung der afghanischen Bevölkerung begünstigen könnte: "Ein Beispiel ist das Volk der Hazara, das in der Vergangenheit aus religiösen Gründen diskriminiert wurde, da sie als Schiiten mitten unter einer sunnitische Mehrheit leben. Dies war einer der Faktoren, der ihnen einen bedeutenden sozialen Aufstieg ermöglichten, da sie sich um Bildung bemühten, um eine neue Rolle in der Gesellschaft zu übernehmen. Vor kurzem baten die Hazara die Regierung darum, eine Stromleitung durch ihre Regionen zu führen, die zu den ärmsten und rückständigsten gehört, und nicht durch anderes Gebiet. Diese lokale Forderung hätte zu Zusammenstößen zwischen Gemeinschaften führen können, aber sie wurde auf sehr transparente Weise vorgebracht, ohne sich auf lokale Anführer zu verlassen, sondern vielmehr mit einem partizipativen Ansatz."
In Afghanistan ist die politische bisher Sphäre in der Tat den gebildeten Eliten vorbehalten, während die ländlichen Massen nicht vertreten sind oder sich von den andauernden terroristischen Anschlägen entmutigen lassen. Wie aus einem Bericht im vergangenen Juli von der UN-Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UMANA) veröffentlichten Bericht hervorgeht, wurden in Afghanistan unterdessen in den ersten sechs Monaten des Jahres 2018 fast 1.700 Zivilisten getötet: so viele wie schon seit zehn Jahren nicht mehr.
(LF) (Fides 20/8/2018)


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