VATIKAN - „WIE DIE ERSTEN CHRISTEN SIND WIR EINE KLEINE HERDE UND DAZU BERUFEN DEREN SPUREN ZU FOLGEN UND GROSSE ZEICHEN ZU SETZEN“: INTERVIEW MIT DEM ERZBISCHOF VON SAO SALVADOR DA BAHIA, KARDINAL GERALDO MAJELA AGNELO

Montag, 28 Juli 2003

Vatikanstadt (Fidesdienst) – Der Erzbischof von San Salvador da Bahia (Brasilien) und neue Vorsitzende der Brasilianischen Bischofskonferenz (CNBB), Kardinal Geraldo Majela Agnelo, legte Papst Johannes Paul II. in Rom den jüngsten Bericht der Vollversammlung der Bischöfe vom Mai dieses Jahres vor. Bei dieser Gelegenheit wurde auch die neue Leitung der Bischofskonferenz vorgestellt. Der Kardinal sprach mit dem Fidesdienst über die Herausforderungen und Schwerpunkte der Pastoral der Brasilianischen Kirche für die kommenden vier Jahre.

Eminenz, welche pastoralen Schwerpunkte haben die brasilianischen Bischöfe bei ihrer jüngsten Vollversammlung für die kommenden vier Jahre festgelegt?
An erster Stelle muss gesagt werden, dass unsere Richtlinien für die Pastoral in den kommenden vier Jahren vor allem ein Hauptziel verfolgen, nämlich die Evangelisierung, wie des auch der Heiligen Vater bei der Versammlung der lateinamerikanischen Bischöfe in Santo Domingo gefordert hatte, als er von der Notwendigkeit einer neuen Evangelisierung sprach und dabei betonte, dass wir als Kirche stets evangelisiert werden müssen damit wir evangelisieren können.
Das Heilige Jahr 2000 war sehr wichtig. Das Dokument Tertio Millennio Adveniente hat uns die Richtlinien für eine dreijährige Vorbereitung auf dieses große Ereignis vorgegeben und in seinem Apostolische Schreiben Novo Millennio Ineunte ruft Papst Johannes Paul II. die ganze Kirche mit Nachdruck und mit der Aufforderung „Duc in altum“ zu neuem missionarischen Engagement auf. In Übereinstimmung mit dem Geist des Jubeljahres hat die Kirche in Brasilien eine Arbeitshilfe mit dem Titel „Kirche-Sein heute“ herausgegeben damit in unsere Gemeinden sich mit dem Thema der Neuevangelisierung und den Herausforderungen, denen die Brasilianische Kirche im neuen Jahrtausend gegenüber steht befassen konnten. Auch bei der Vollversammlung der Bischöfe haben wir beschlossen, diesen Weg zu verfolgen. In Wirklichkeit wollen wir den Gläubigen bewusst machen, was es bedeutet ein Christ, getauft und damit Kind Gottes zu sein und was es heißt als Jünger Christi die Lehren des Vatikanischen Konzils zur universale Berufung zur Heiligkeit umzusetzen. In diesem Zusammenhang stellt auch Papst Johannes Paul II. die Heiligkeit als großes Ideal vor, wenn er an die Worte Christi erinnert, der sagte: „… seid vollkommen, wie der himmlische Vater“. Was die Vorgehensweise anbelangt, so wünschen wir uns, dass die Bewusstseinsbildung auf persönlicher, gemeinschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene stattfindet: wir möchten die Aufmerksamkeit von Einzelpersonen, Gemeinden und der Gesellschaft im Allgemeinen wecken. Um dem Individualismus des heutigen Menschen entgegenzuwirken muss der Mensch als Individuum zwar aufgewertet werden, wobei man jedoch gleichzeitig eine Öffnung gegenüber den anderen fördern und vor dem Rückzug in sich selbst warnen sollte. Eine besondere Rolle spielt dabei die Gemeinde, denn Individuen leben in der Gemeinde, einem Ort der Gemeinschaft, der Brüderlichkeit und der Solidarität. Die Tendenz zum Individualismus führt dazu, dass die Menschen nicht mehr wissen, was es heißt Kirche zu sein und welche Bedeutung deren gemeinschaftliche Dimension hat. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit die gemeinschaftliche Dimension des Glaubens zu stärken. Schließlich möchten wir in der ganzen Gesellschaft das Interesse für das Gebot Christi wecken: „Geht in alle Welt und macht alle Völker zu Jüngern“. Wir sind berufen Jünger Christi zu sein und müssen davon auch vor der Welt Zeugnis ablegen, damit es neue Jünger gibt.
Wir bemühen uns auch um den Schutz der Menschenwürde. Angesichts des Leids unseres von Hunger und Armut gekennzeichneten Volks dürfen wir diesem Problem nicht gleichgültig gegenüberstehen sondern wir müssen vor der ganzen Welt dafür eintreten. Hierzu hat die Brasilianische Bischofskonferenz letztes Jahr ein Dokument veröffentlicht, in dem die ethischen Voraussetzungen für die Bekämpfung von Hunger und Not erläutert werden. Außerdem wurde das Projekt „mutirao da fome“ (Aktion gegen den Hunger) durchgeführt. Dieses Jahr hat auch die Regierung ein Programm zur Hungerbekämpfung in die Wege geleitet, das wir nach unseren Möglichkeiten durch unserer Zusammenarbeit unterstützen werden, da wir in der Lage sind, dorthin zu gelangen, wo die Einrichtungen der Regierung nicht hinkommen. Doch wir dürfen uns nicht nur auf Hilfsprogramme beschränken, denn wir wollen mehr als nur den Hunger stillen, wir möchten den Menschen ganzheitlich fördern und uns dafür einsetzen, dass diejenigen, die Hunger leiden, selbst zu den Hauptakteuren dieser menschlichen Förderung werden.

Aus jüngsten Studien geht hervor, dass sich die katholischen Gläubigen in Brasilien von der Kirche entfernen. Spiegeln sich diese Daten in den jüngsten pastoralen Richtlinien der Bischöfe wider?
Ja und nein. Die Evangelisierung muss eine Konstante des kirchlichen Handelns sein und ist wesentlicher Bestandteil ihres Amtes, weshalb sie stets erneuert werden muss. Dies ist notwendig wenn es darum geht, den Glauben der Gläubigen zu stärken und unter den neuen Generationen das Wissen über die Gründe unserer Hoffnung zu vermitteln. Ich möchte damit sagen, dass wir mit der Neuevangelisierung in Brasilien eine angemessen Antwort darauf geben wollen, dass wir in einem Land leben, das man nicht mehr als ganz katholische bezeichnen kann. In Wirklichkeit war es das nie. Doch heute geben die Menschen zu, dass sie nicht mehr katholisch sind. Was das öffentliche Bekennen des Glaubens anbelangt, haben wir in den letzten 10 Jahren 10% verloren. Dabei handelte es sich vorwiegend um Katholiken, die zwar getauft waren, ihren Glauben aber nicht praktizieren. Der wahre Katholik ist derjenige, der den Glauben als Ganzes akzeptiert und nicht nur einen Teil davon. Die heutige Tendenz zum Individualismus führt oft dazu, dass die Menschen in Glaubensfragen so handeln, als ob sie sich in einem Supermarkt bedienten und nur jene „Wahrheiten“ aussuchen, die zum eigenen Lebensstil passen und nur das übernehmen und das ablehnen, was zu einer Umkehr führen würde. Dies führt zu einer fortschreitenden Schwächung des Glaubens und schließlich zu dessen völligem Verlust. In diesem Zusammenhang möchte ich an das Buch von Msgr. Valvredo Teppe mit dem Titel „Kleine Herde, große Zeichen“ erinnern, in dem er sich mit dieser heutigen Tendenz auseinandersetzt und dran erinnert, dass der wahre Katholik derjenige ist, der den Glauben in der Gesamtheit der evangelischen Botschaft mit allen Folgen auf persönlicher und gemeinschaftlicher Ebene akzeptiert. Vielleicht ist gerade dies unsere gegenwärtige Situation: wie die ersten Christen sind wir eine kleine Herde, die deren Spuren folgen und damit große Zeichen setzen muss. Deshalb bemühen wir uns auch sehr um die Ausbildung dieser kleinen Herde, damit die Gläubigen in der Lage sind, vor der Welt ein wahres Zeugnis des christlichen Lebens abzulegen. Wir wünschen uns, dass die Ausbildung Grundlage unserer Pilgerreise ist und dazu möchten wir auch die Tätigkeit der Laien fördern und die Sendung und Berufung unserer Priester erneuern.

Wie ist der Besuch der neuen Leitung der Brasilianischen Bischofskonferenz im Vatikan verlaufen?
Wir sind nach Rom gekommen, um dem Papst unseren Bericht zur jüngsten Vollversammlung vorzulegen, die im Mai in Itaici stattgefunden hat. Bei dieser Gelegenheit haben wir auch verschiedene vatikanische Dikasterien besucht, mit denen wir vorwiegend zusammenarbeiten, wie zum Beispiel die Kongregation für die Glaubenslehre, das Staatssekretariat, die Kongregation für den Klerus und für das Katholische Bildungswesen sowie die Päpstliche Kommission für Lateinamerika.
Der Papst hat unseren Bericht entgegengenommen und sich nach den Straßenkindern erkundigt. Ich habe mich gefreut, dass ich im mitteilen konnte, dass dieses Phänomen dank der Tätigkeit der Kirche, die sich in diesem Bereich weiterhin engagiert, zurück geht. Auf seine Frage zur Befreiungstheologie habe ich ihm geantwortet, dass deren Zeit vorbei ist, dass sie ihren Beitrag geleistet hat und dort endete, wo sie enden sollte.
Außerdem haben wir dem Papst davon berichtet, dass wir in Brasilien das Jahr der Berufe feiern und deshalb einen ganzen Tag der Vorbereitung einer zukünftigen Versammlung der Bischöfe zum Thema „Das Leben und das Amt des Priesters“ gewidmet haben.

In Brasilien wurde zur Vorbereitung auf den Amerikanischen Missionskongress (CAM 2) der Erste Nationale Missionskongress veranstaltet. Welche Bedeutung hat dieser Nationale Kongress für die Mission ad gentes?
Ich glaube, dass die Kirche in Brasilien in ihrer missionarischen Dimension noch wachsen muss und dies gilt vor allem für die Mission ad gentes. Wir haben lange Zeit empfangen und nun ist es an der Zeit, dass die brasilianische Kirche etwas gibt. In diesem Sinn glaube ich, dass die Veranstaltung des Ersten Missionskongresses einen gewissen Fortschritt bedeutet. (MR) (28/7/2003 – 112 Zeilen, 1.331Worte)


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