AMERIKA - „Die Kirche in Lateinamerika ist trotz der schwierigen Situationen in verschiedenen Ländern sehr lebendig“: Exklusivinterview mit dem CELAM-Vorsitzenden, Erzbischof Carlos Aguiar Retes

Freitag, 14 Oktober 2011

Rom (Fidesdienst) – Vom 6. bis 12. Oktober hielten sich die Vorstandsmitglieder des Rates der Lateinamerikanischen Bischofskonferenzen (CELAM) unter Leitung des Vorsitzenden, Erzbischof Aguiar Retes von Tlalnepantla (Mexiko), in Rom auf. Dabei begegneten sie Papst Benedikt XVI. und verschiedenen Vertretern der Römischen Kurie (vgl. Fidesdienst vom 28/09/2011). Unter anderem legten sie ihren Pastoralplan für die kommenden vier Jahre vor und erläuterten die wichtigsten Aspekte im Leben der Kirche in Lateinamerika. Am Rande des Besuchs sprach der CELAM-Vorsitzende mit dem Fidesdienst.

Das Schlussdokument von Aparecida regt eine Kontinentale Mission als Richtlinie für die katholischen Gemeinden des Kontinents an. Inwiefern wird dies im globalen Pastoralprogramm für die kommenden vier Jahre berücksichtig?

Diese Anregungen sind vor allem in den im Mai dieses Jahres formulierten Leitlinien enthalten, wobei die wichtigsten Punkte auch in den Pastoralplan für die Amtszeit unseres Vorstands bis zum Jahr 2015 einfließen. Für den globalen Vierjahresplan haben wir uns den zweiten Teil des Slogans von Aprecida zu Eigen gemacht: „Damit unsere Völker in ihm das Leben in Fülle haben“. Die Umsetzung des ersten Teils des Slogans „Missionarische Jünger“ bedeutet, dass wir die Christen in unseren Gemeinden zu authentischen Jüngern Christi machen sollen und dies wurde bereits umgesetzt. Nun ist es an der Zeit, dass wir „Zeugnis ablegen“, denn indem wir Christus bezeugen können wir ein würdiges und erfülltes Leben führen, in ihm und durch ihn.
Wir inspirieren uns dabei auch an zwei Bibelstellen: das Gleichnis vom Rebstock aus dem Johannesevangelium und ein Zitat aus dem ersten Johannesbrief: „Alles, was wir gesehen und gehört haben… verkünden wir euch“. Der missionarische Jünger darf sich nicht mit dem zufrieden geben, was er gefunden hat, sondern er muss es an andere weitergeben, umso mehr wenn die Umstände widrig sind. Dies war zu allen Zeiten der Geist der Kirche, das Motiv der Mission „ad gentes“, die Aufgabe der Glaubensverbreitung unter den anderen Kulturen: nie ging es dabei um das Abwerben von Gläubigen, sondern nur um das Anbieten der Wahrheit und mit der Wahrheit, des Weges zum Leben, zum wahren Leben.

Gegenwärtig gestaltet sich in Lateinamerika die Verkündigung des Evangeliums mancherorts äußerst schwierig in einem Umfeld der Gewalt oder wo es bewaffnete Konflikte gibt… Wie reagiert die kirchliche Gemeinschaft darauf?

Ja, es gibt Situationen, wo das Risiko groß ist und die Bischöfe sind sich dessen sehr wohl bewusst. Trotzdem finden die Menschen Trost, wenn sie sehen, wie sich ihre Hirten verhalten. Die Menschen wenden sich oft an die Behörden, die Regionalverwaltung oder den Bürgermeister, mit der Bitte um Lösungen in schwierigen Situationen, doch oft sind es die Gemeindpfarrer, die sich um solche Lösungen bemühen: durch ihre Präsenz ist die Kirche präsent. Deshalb bleiben die Menschen vor Ort und wandern nicht ab. Die Städte werden nicht menschenleer, weil auch der Pfarrer bleibt und den Gottesdienst feiert und die Sakramente spendet, weil er predigt und von Hoffnung spricht, auch dort wo sich die Menschen mit Gewalt und anderen Schwierigkeiten konfrontiert sehen. Diese Situationen schmerzen uns unter menschlichen Gesichtpunkten, doch unter geistlichen Aspekten machen sie uns stark. Das Martyrium hat das Leben der Kirche immer bereichert und wir dürfen davor keine Angst haben, auch wenn es bedauerlich ist, wenn wir zusehen müssen, wie Männer, die sich großherzig in den Dienst der Kirche stellen, ermordet werden. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir in unserer Kirche nur Pilger sind und die Art und Weise, wie unser irdisches Leben endet, sollte uns nicht weiter beunruhigen, vielmehr sollten wir an den Himmel denken, und mit dieser Hoffnung schwierige Situationen angehen, denn sonst würden wir oft verzweifeln. Natürlich raten wir immer zur Vorsicht und fordern unsere Priester auf, den Römerkragen zu tragen, da dieser sogar vom organisierten Verbrechen respektiert wird.

Wodurch definiert sich die Identität der Kirche in Lateinamerika? Und wie wird sie in schwierigen Situationen sichtbar?

Seit Aparecida ist unter Bischöfen und Priestern aber auch unter den Pastoralarbeiter das Bewusstsein von einer gemeinsamen Identität als Kirche in Lateinamerika gewachsen und man wurde sich mehr und mehr der Notwendigkeit des Bemühens um eine solche katholische Identität bewusst. Der Beitrag der Kirche darf nicht darin bestehen, für Sicherheit zu sorgen, denn das gehört nicht zu unseren Aufgaben. Wir haben keine Armee, doch wir haben moralische Autorität und die ist so groß, dass dort, wo wir aussäen auch etwas zu wachsen beginnt. Dies wünschen wir uns von ganzem Herzen, denn dann wird es auch jenen sozialen Frieden geben, den der Friede des Herrn Jesus Christus bringt. Für uns ist dies der Weg und deshalb setzen wir uns für die Familie ein und arbeiten mit der Familie zusammen für das Leben, denn dies ist die Zukunft unserer Gesellschaft.
Ich möchte jedoch auch betonten, dass die Kirche in Lateinamerika, trotz der Schwierigkeiten in den verschiedenen Ländern sehr lebendig ist. Unsere christlichen Gemeinden sind heute autonom: wir haben unsere eigenen Priester, unsere eigenen Einrichtungen und unsere eigenen Berufungen…. Unsere Kirche lebt heute aus eigener Kraft und mit der Unterstützung der eigenen Gläubigen, und es gelingt ihr in großem Maß zu Initiativen wie dem Sonntag der Weltmission beizutragen, mit denen die Mission ad gentes unterstützt wird. Heute ist Lateinamerika kein Missionsgebiet mehr, sondern es hat sich zu einer Region mit einem eigenen erfüllten kirchlichen Leben entwickelt. (CE) (Fidesdienst, 14/10/2011)


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