MISSION UND EMGRATION - EUROPA/BELIGEN- Pralinen und Kebab - Begegnung und Interview mit dem Weihbischof von Malines-Brüssel, Jozef De Kesel (Korrespondenz aus Belgien von Luca De Mata - Teil 13)

Montag, 2 Februar 2009

Brüssel (Fidesdienst) – Brüssel vermittelt, wie ganz Belgien den Eindruck, dass man in einer duftenden Praline lebt, zwischen Kebab-Buden, aus denen junge Menschen mit wohlriechendem, mit gut gewürztem Fleisch belegtem Fladenbrot kommen. Mit Straßen voller Diamanten. Grüner Landschaft. Gepflegten Autobahnen. Restaurants und Bier. Touristen. Politiker. Geschäftsleute. Menschenmassen. Europa, du bist wunderschön. Auf einer Hauptstraße: ein Geschäft für professionelle Fotografen, mit fantastischen Preisen, kompetenter Bedienung und großer Auswahl. Ich gehe um die Ecke und sehe einen älteren Antiquitätenhändler, gebildet und intelligent. Auf einem Regal liegen Bücher. Ich frage, wie viel ein kleines Buch eines italienischen Futuristen kostet: „Ich würde es gerne kaufen“. „Oh … nein! Die Bücher verkaufe ich nicht.“ Er ist Perser, der hier als Flüchtling lebt und auf seine Herkunft stolz ist. Er hat verwandte in aller Welt. Alle ausgewandert, alle Händler: „Unsere Diasporagemeinde ist sehr geeint. Dies gibt uns Kraft und sorgt dafür, dass wir uns nie einsam fühlen“. Ich spreche von etwas anderem. Dann wird die Zeit knapp. Die Zeit verfliegt. In Kürze habe ich einen Termin beim Bischof. Ich verabschiede mich und verspreche, dass ich zurückkommen werde, auch wenn es nicht so sein wird. Ich gehe zu Fuß. Hier scheint mir die Stadt eine andere zu sein. Menschen suchen im Abfall nach Lebensmitteln. Andere schlafen auf dem Boden. Irgendwo spielt ein improvisierter Musikant und etwas weiter findet eine Schlägerei zwischen Betrunkenen statt. Das schöne Europa ist verschwunden. Der Geruch der Schokolade liegt nicht mehr in der Luft. Nun befinde ich mich in einer multikulturellen Menge, verschleierte Frauen, orientalische Gerüche, Sprachen, die mich nach Afrika und Südamerika versetzen. Ich trete in das Gebäude der Bischofskonferenz ein. Eine sehr freundliche Dame bringt mich zum Weihbischof der Stadt. Die Migrationsflüsse verändern das Gesicht von Ländern und Kontinenten.

Sehr verehrte Exzellenz, wie ist diese Stadt, dieses Land, im Vergleich zu früher…?

Das Phänomen der Migration wird zunehmend zu einem Problem. Ich verstehe die Politiker und die Umsicht im Hinblick auf die Ereignisse. Zweifelsohne können wir nicht alle aufnehmen. Es geht um ein konkretes Problem. Der Westen ist reich. Und es ist normal, dass Menschen aus Afrika, Osteuropa und Lateinamerika hierher kommen wollen. Als Kirche, als Bischofskonferenz, ist ein Eingreifen problematisch, denn wir sind keine Hilfsorganisation und unter den Politikern ist es schwierig, Menschen mit einem richtigen Gefühl dafür zu finden. Als Bischof habe ich darum gebeten, das Problem nicht zu banalisieren und sich auch die Verzweiflung vor Augen zu führen. Es gibt eine Erklärung der Bischöfe, in der wir um eine realistische Politik bitten, da wir nicht alle Welt aufnehmen können, aber auch um mehr Gerechtigkeit. Hier leben Familien mit Kindern seit acht Jahren. Sie besuchen unsere Schulen und sprechen unsere Sprache. Sie wurden hier geboren und haben sich hier eingegliedert. Können wir sie nach so vielen Jahren ausweisen? Ihnen sagen, dass sie in ihr eigenes Land zurückkehren sollen? Das ist unmenschlich! Wir bitten die Politiker deshalb um objektivere gerechtere Kriterien. Im Namen des Evangeliums bitten wir um eine großherzigere Politik.

Exzellenz, was ist Politik, wenn sie uns nicht alle repräsentiert? … Gibt es ein Problem an der Wurzel?

Ja, in der Tat, es gibt eine sehr komplexe Dialektik zwischen dem Realismus und der aus dem Glauben erwachsenden Großherzigkeit. Im Westen sind wir reich. Das Evangelium fordert von uns, dass wir das Wort Gottes unter allen verkünden, dass wir großherzig sind. Hier kommt es zu einem Missverständnis. Es gibt Menschen, die der Ansicht sind, dass die Kirche sich nicht in die Politik einmischen soll. Doch, wenn wir auf Probleme hinweisen, dann handelt es sich nicht um Politik. Es geht nicht um Einmischung in die Politik. Es geht um zwei getrennte Dinge: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist. Auf der anderen Seite tragen Christen, trägt die Kirche Verantwortung in der Gesellschaft und darf die Augen nicht vor dem verschließen, was um sie herum passiert. Dies ist ein gesellschaftliches Problem: wie die Probleme im Zusammenhang mit der Bioethik oder mit der Justiz. Die ausgewogene Erklärung der Bischöfe zum Thema Immigration wurde gut aufgenommen.

Exzellenz, Sie sagen die Erklärung wurde gut aufgenommen, doch in Belgien werden Kirchen oft von Zuwanderern besetzt, ich selbst habe dies im Zentrum gesehen … überall liegen Matratzen. Greift hier die Politik nicht ein?

Doch. Hier in Brüssel besetzen Zuwanderer seit einigen Jahren Kirchen und gehen nicht mehr weg. Dies können wir nicht akzeptieren. Doch wir bitten die Polizei nicht um Eingreifen, doch sie kann dies tun. Manchmal kommt es zu Schwierigkeiten und Spannungen in den Pfarrgemeinden, denn es gibt Gegner und Befürworter. Und wenn sie eine Kirche erst einmal besetzt haben, kann man sie dort auch nicht verhungern lassen. Deshalb sammelt man in den Gemeinden Spenden. … Doch es ist ein Problem, es ist ein Problem. Denn unsere Kirchen sind Gotteshäuser und Orte der Aufnahme. Doch es kommt immer wieder zu solchen Besetzungen der Kirchen und zu Räumungen, wir haben das Problem noch lange nicht gelöst. Die Zahl der Zuwanderer aus Afrika und aus Lateinamerika ist groß. Ich habe an einer Prozession in einer lateinamerikanischen Gemeinde teilgenommen. Unter Polizeieskorte gingen im Schneegestöber junge Menschen und Familien mit Kindern mit. Unter den Teilnehmern hatten viele keine Aufenthaltsgenehmigung. Die Stadtverwaltung stellte eine warme Mahlzeit zur Verfügung. Es war ein Fest, an dem fast alle Einwohner des Viertels teilnahmen. Ich schaute mir die Menschen an und verstand die Verzweiflung derer, die zwei oder drei Kinder hatten, aber keine Aufenthaltsgenehmigung. Wenn man eine solche nicht hat, dann hat man auch keinen festen Arbeitsplatz. Dann lebt man unter prekären Bedingungen. Sie leben hier oft schon seit vier oder fünf Jahren, mit Unterstützung unserer Gemeinden, doch die ist eigentlich nicht unsere Aufgabe, es geht um die Verantwortlichkeit und um die Pflicht der Politik. Es geht um Kinder, die hier schon lange leben…wie kann man sie zurückschicken? Außerdem gibt es in unserer westlichen Welt ein objektives Problem des Geburtenrückgangs. Es geht nicht nur darum, ob man Zuwanderer aufnehmen soll, sondern auch darum, wie sie integriert werden können. In Wirklichkeit haben die Politiker Angst davor, dies anzusprechen, während die Wirtschaft keine Probleme damit hat. Es geht nicht nur um eine Frage der Großherzigkeit, sondern um das Überleben des Westens. Damit wir erhalten bleiben, brauchen wir Menschen. Es gibt viele Muslime, aber auch viele Christen aus Osteuropa, Afrika und Südamerika. Vor allem aus Afrika und Südamerika kommen viele gläubige, praktizierende Christen. Die Kirche bittet deshalb um eine großzügigere und gerechtere Politik.

Ich verlasse das Gebäude der Bischofskonferenz. Ich bin zufrieden und hungrig. Mit dem befreundeten Priester, der mich begleitet, betrete ich eine Kebabbude namens „Kebab Pascia“. Es richt ausgezeichnet hier. Wir bestellen zwei Fladenbrote und ich hätte gerne noch etwas Süßes. „Pralinen, hier? Mein Freund, es gibt gute Pralinen hier, aber auf der anderen Straßenseite“. Genau, auf der anderen Straßenseite, genau dort, wo ich herkomme. (aus Brüssel, Luca De Mata) (Teil 13 – Fortsetzung folgt) (Fidesdienst, 02/02/2009 – 93 Zeilen, 1.147 Worte)


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