MISSION UND EMIGRATION - EUROPA/BELGIEN - Leben in der Verzweiflung. Bericht einer armenischen Familie, die von Caritas Brüssel betreut wird (Korrespondenz aus Belgien von Luca De Mata - Teil 14)

Sonntag, 26 Februar 2006

Brüssel (Fidesdienst) – Von meiner Unterkunft ist die Caritas nicht weit entfernt. Man tritt ein und hat den Eindruck, das man sich an einem Ort befindet, der gut funktioniert uns sauber ist, wo motivierte Menschen sorgfältig ihre Arbeit leisten, und denen helfen, die nicht in diesem kosmopolitischen Land geboren sind. Für Zuwanderer sind die Gesetze unserer Staaten oft nicht verständlich. Sie kommen zu uns mit ihrer Verzweiflung und der Hoffnung im Herzen, endlich Frieden zu finden. Der Frieden ist keine Utopie, sondern eine einfache Interpretation von reellen Werten und Verhaltensweisen. Auf unserem Planten gibt es Orte, die Lagern gleich sind und von religiösen, politischen, militärischen Ideologien beherrscht werden, die so denken und sich so darstellen, als ob sie Orte des Friedens wären, und doch sind sie nichts anderes als eine Tyrannenherrschaft, deren Herrscher Tod und Misshandlung zur Grundlage ihres Lebens und ihrer Gesetze gemacht haben. Orte an denen das Wort „Nein“ nur ein Privileg derer ist, die auf blutige Weise die Macht innehaben. Orte der Arroganz, die unter kulturellen und moralischen Gesichtspunkten unfähig sind, Veränderungen, Unterschiede und Rechte des einzelnen Menschen zu verstehen. Orte wo man einem Dieb die Hand abschneidet, weil man meint, dass das Beispiel einer unmenschlichen Strafe eine Massenpädagogik sei. Eine Pädagogik, die Verstümmelung hinterlässt und den Eindruck, dass nur Blut vom Bösen reinigen kann. Dies führt zu einer Spirale der ideologischen Grausamkeit, deren Opfer ganze Völker sind. Doch kehren wir zur Caritas zurück: in Brüssel ist heute ein wunderschöner sonniger Tag. Ich setze mich draußen hin, auf einen kleinen wunderbaren Rasen. Ein armenisches Paar wartete auf mich. Die Anonymität ist eine Pflicht und Respekt gegenüber einem Leben in der Verzweiflung und den Berichten davon.

Ihre Namen sind für uns nicht wichtig. Was wir jedoch sagen können ist, dass Sie eine armenische Familie sind, die nur einen Wunsch hat: die Rückkehr. Die Rückkehr nach Armenien. Und Europa? Eine Reise die Sie alle Ersparnisse gekostet hat: hier haben Sie keine Arbeit und wissen nicht, wie Sie die Rückkehr in ihr Land bezahlen sollen. Ohne die Unterstützung der Caritas wüssten Sie nicht, von was Sie leben sollten. Stimmt das?
Ja, das stimmt.
Diese Situation betrifft heute in Europa nicht nur Ihr Volk, sondern es geht vielen Zuwanderern gleich, die voller Hoffnung hierher kamen und hier anders leben, als sie es sich vorgestellt hatten, als sie sich für die Reise verschuldet haben …
(es antwortet der Mann) Wir sind Christen wie Sie und wegen unseres Glaubens musste unser Volk viele Diskriminierungen ertragen. Vom Völkermord bis zur Diaspora. Nach der Auflösung der Sowjetunion wollte jedes Land unabhängig sein. Doch es gab kein Gas, keinen Strom, kein Brot. Der Hunger drang in alle Ecken vor. Es gab keine Arbeit. Alle gingen weg, und so gingen auch wir weg. Damit wir etwas Geld hatten, haben wir unser Auto verkauft und alles, was wir besaßen. Seither hat unser Unglück begonnen.
Wir haben viele Länder durchquert, doch nirgends in Europa gab es das Mindeste zum Leben für uns. Armenien ist mein Land; dort kenne ich viele Leute, doch hier sind wir allein. Ich habe gearbeitet, ohne dafür bezahlt zu werden, wie ein Sklave, und nun möchte ich mit meiner Familie wieder nach Hause. Wir haben nichts mehr. Ich lebte anfangs an der Grenze zwischen Aserbaidschan und Armenien und ich habe viele tote und hungernde Menschen gesehen. Es gab Tage, da hatten wir nicht einmal für unsere Kinder etwas zu Essen. 100 bis 200 Gramm Brot am Tag musste für alle reichen. Doch hier in Europa ist es nicht besser. Wir haben keine Arbeit. Oft können wir nichts zu Essen kaufen und schon gar nicht daran denken, etwas zur Seite zu leben, um etwas anderes zu kaufen, Kleidung zum Beispiel. Ich möchte nur wieder in mein Land zurück. Armenien. Dort werden wir uns in die Hände Gottes begeben: von dem, was er uns gibt, werden wir leben. Nicht wie hier, wo wir beraubt wurden. Wenn ich heute eine Arbeit habe, dann gibt es etwas zu Essen, sonst nicht. Was ist das für ein Leben? Ein Mensch muss meiner Ansicht nach in seinem Land leben. Dort wurden wir geboren, dort wollen wir auch leben.
Wie kamen Sie zu dem Schluss, dass Sie nach so vielen Opfern wieder zurückkehren wollen?
(es antwortet die Frau) Unser erstes Kind wurde in Armenien geboren. Es war ein Jahr und drei Monate alt, als wir unser Land verlassen haben. Ich war damals bereits zum zweiten Mal schwanger. Mit dem Bus fuhren wir in die Türkei und von dort aus nach Jugoslawien. Das zweite Kind kam in Belgrad zur Welt, doch dort blieben wir nur wenige Monate. Es brach der Krieg aus und wir mussten gehen. Was sollten wir tun? Von Jugoslawien nach Kroatien. Es ging nur wenige Monate und wir mussten erneut fliehen. Der Krieg breitete sich von Jugoslawien aus rasch aus. Kroatien, Slowenien, wir waren eingesperrt. Wir fragten uns, wohin wir gehen sollten? Wir waren in Slowenien. Wo konnten wir ein bisschen Frieden finden? Zurück? Wir hatten kein Geld, wir hatten keine Kleider, wir hatten zwei kleine Kinder, nichts zu Essen, keine Wohnung. Schließlich fanden wir einen Fluchtweg. Wir kamen nach Polen, wo man uns Arbeit versprochen hatte. Mein Mann ging jeden Morgen zur Arbeit. Anfangs sagte man ihm, dass man ihn nur einmal pro Woche bezahlen konnte. Dann sagte man ihm alle zwei Wochen, und so weiter. Am Schluss hat er praktisch ein Jahr lang gearbeitet ohne dafür bezahlt zu werden. Man hat ihn angelogen!
Die Menschen, die uns Arbeit versprochen hatten, gaben uns nur etwas Kleingeld, mit dem wir Brot und Milch für die Kinder kaufen konnten. Doch es reichte nicht zum Leben und die Kinder wurden größer. Mit dem Wenigen, was wir hatten, kamen wir nach Belgien. Wir sind hier nun seit neuen Monaten. Wir haben nichts. Man hat uns eine Arbeit versprochen: doch nach zwei Wochen hatte mein Mann gemerkt, dass man ihn wieder anlog. Leere Versprechen. Ich bin nun im fünften Monat schwanger und wir möchten zurück nach Hause, weil wir wollen, dass das dritte Kind nicht in einem fremden Land zur Welt kommt. Helft uns, damit wir zurückkehren können. Helft uns. Wir haben dort nichts. Wir haben überhaupt nichts mehr. Wir wissen nicht, wie das Leben weitergeht. Bisher ging es nur ums Überleben und wir haben nichts für unsere Kinder, damit sie die Schule besuchen, ein normales Leben führen oder ganz einfach jeden Tag etwas zu Essen haben. Bei den Armeniern ist es Brauch, dass man sich gegenseitig hilft, doch wenn man nichts hat, was kann man dann teilen? (aus Brüssel, Luca De Mata) (14 – Fortsetzung folgt) (Fidesdienst, 27/02/2009 – Zeilen, Worte)


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