VATIKAN - Papst Benedikt XVI. in Paris und Lourdes (2) - „Das, was die Kultur Europas gegründet hat, die Suche nach Gott und die Bereitschaft, ihm zuzuhören, bleibt auch heute Grundlage wahrer Kultur“

Montag, 15 September 2008

Paris (Fidesdienst) – Am Freitag, den 12. September empfing Papst Benedikt XVI. in der Apostolischen Nuntiatur in Paris Vertreter der jüdischen Glaubensgemeinschaft. In seiner Ansprache betonte der Papst zunächst, die „glückliche Fügung, daß unser Treffen am Vorabend der wöchentlichen Feier des Shabbat stattfindet, am Tag, der seit undenklichen Zeiten einen so bedeutenden Platz im religiösen und kulturellen Leben des Volkes Israel einnimmt“ und betonte sodann: „Liebe Freunde, aufgrund dessen, was uns eint, und aufgrund dessen, was uns trennt, haben wir eine Brüderschaft, die wir stärken und leben müssen. Und wir wissen, daß die Brüderschaftsbande eine ständige Einladung darstellen, sich besser kennenzulernen und sich zu respektieren“ und betonte in diesem Zusammenhang: „Die Katholische Kirche wünscht von ihrer Natur her, den Bund, den der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs geschlossen hat, zu achten“ und „so erhebt sich die Kirche gegen jede Form von Antisemitismus, für den es keine annehmbare theologische Rechtfertigung gibt“.
„Noch einmal liegt mir daran“, so der Papst weiter, „denen tiefe Ehrerbietung zu erweisen, die zu Unrecht gestorben sind, und denen, die dafür tätig waren, daß die Namen der Opfer in der Erinnerung lebendig bleiben. Gott vergißt nicht!“
Im Anschluss an die Begegnung mit der jüdischen Gemeinde, traf der Papst im Collège des Bernardins in Paris rund 700 Kulturschaffende, darunter auch eine Delegation der muslimischen Glaubensgemeinschaft. Es folgen Ausschnitte aus der Ansprache.
„Heute Abend möchte ich zu Ihnen über die Ursprünge der abendländischen Theologie und die Wurzeln der europäischen Kultur sprechen. …Von der Wirkungsgeschichte des Mönchtums her können wir sagen, dass im großen Kulturbruch der Völkerwanderung und der sich bildenden neuen staatlichen Ordnungen die Mönchsklöster der Ort waren, an dem die Schätze der alten Kultur überlebten und zugleich von ihnen her eine neue Kultur langsam geformt wurde… Da ist zunächst und als erstes ganz nüchtern zu sagen, dass es nicht ihre Absicht war, Kultur zu schaffen oder auch eine vergangene Kultur zu erhalten. Ihr Antrieb war viel elementarer. Ihr Ziel hieß: quaerere Deum. Sie waren auf der Suche nach Gott. …Gott hatte selbst Wegzeichen ausgesteckt, ja, einen Weg gebahnt, den zu finden und zu gehen die Aufgabe war. Dieser Weg war sein Wort, das in den Büchern der heiligen Schriften vor den Menschen aufgeschlagen war. Die Suche nach Gott verlangt so von innen her eine Kultur des Wortes … Weil die Suche nach Gott die Kultur des Wortes verlangte, daher gehört zum Kloster die Bibliothek, die die Wege zum Wort aufzeigt. Daher gehört zu ihm auch die Schule, in der die Wege konkret geöffnet werden.“
„Das Wort führt nicht auf einen bloß individuellen Weg mystischer Versenkung, sondern in die Weggemeinschaft des Glaubens hinein. Und darum muss dieses Wort nicht nur bedacht, sondern auch recht gelesen werden… Und noch einmal ist ein weiterer Schritt zu tun. Das Wort Gottes bringt uns selber ins Gespräch mit Gott. Der Gott, der in der Bibel spricht, lehrt uns, wie wir selber mit ihm reden können. Besonders im Buch der Psalmen gibt er uns die Worte, mit denen wir ihn anreden können, unser Leben mit seinen Höhen und Tiefen ins Gespräch mit ihm zu bringen vermögen, so dass dabei das Leben selbst Bewegung auf ihn hin wird. Die Psalmen enthalten immer wieder Anweisungen auch dafür, wie sie gesungen und mit Instrumenten begleitet werden sollen. Für das Beten vom Wort Gottes her reicht das Sprechen nicht aus, es verlangt Musik.“ Bei Benedikt … „drückt sich das Bewusstsein aus, beim gemeinsamen Gebet in der Anwesenheit des ganzen himmlischen Hofes zu singen und damit dem höchsten Maßstab ausgesetzt zu sein: so zu beten und zu singen, dass man in die Musik der erhabenen Geister einstimmen kann, die als die Urheber der Harmonie des Kosmos, der Musik der Sphären galten. ... Aus diesem inneren Anspruch des Redens mit Gott und des Singens von Gott mit den von ihm selbst geschenkten Worten ist die große abendländische Musik entstanden.“
Die Bibel ist rein historisch und literarisch betrachtet nicht einfach ein Buch, sondern eine Sammlung von Literatur, deren Entstehung sich über mehr als ein Jahrtausend hin erstreckt und deren einzelne Bücher man nicht ohne weiteres als eine innere Einheit erkennen kann; sie stehen vielmehr in erkennbaren Spannungen zueinander…. Die Bibel wird im Neuen Testament im allgemeinen zurecht nicht als "die Schrift", sondern als "die Schriften" bezeichnet, die freilich zusammen dann doch als das eine Wort Gottes an uns angesehen werden. Aber schon dieser Plural macht sichtbar, dass Gottes Wort hier nur durch Menschenwort und Menschenwörter hindurch zu uns kommt, dass Gott nur durch Menschen hindurch, durch deren Worte und deren Geschichte zu uns redet…Die Schrift bedarf der Auslegung, und sie bedarf der Gemeinschaft, in der sie geworden ist und in der sie gelebt wird. In ihr hat sie ihre Einheit, und in ihr öffnet sich der das Ganze zusammenhaltende Sinn. Noch einmal anders gewendet: Es gibt Dimensionen der Bedeutung des Wortes und der Wörter, die sich nur in der gelebten Gemeinschaft dieses Geschichte stiftenden Wortes öffnen. … Das Christentum vernimmt in den Wörtern das Wort, den Logos selbst, der sein Geheimnis durch diese Vielfalt hindurch ausbreitet. Diese eigentümliche Struktur der Bibel ist eine immer neue Herausforderung an jede Generation. Sie schließt von ihrem Wesen her all das aus, was man heute Fundamentalismus nennt. Denn das Wort Gottes selber ist nie einfach schon in der reinen Wörtlichkeit des Textes da.“
„Die ganze Dramatik dieses Themas ist in den Schriften des heiligen Paulus ausgeleuchtet. …. Diese Spannung von Bindung und Freiheit, die weit über das literarische Problem der Schriftauslegung hinausreicht, hat auch Denken und Wirken des Mönchtums bestimmt und die abendländische Kultur zutiefst geprägt. Sie ist als Aufgabe auch unserer Generation gegenüber den Polen von subjektiver Willkür und fundamentalistischem Fanatismus neu gestellt. Es wäre ein Verhängnis, wenn die europäische Kultur von heute Freiheit nur noch als Bindungslosigkeit auffassen könnte und damit unvermeidlich dem Fanatismus und der Willkür in die Hand spielen würde. Bindungslosigkeit und Willkür sind nicht Freiheit, sondern deren Zerstörung.”
“Zum Mönchtum gehört mit der Kultur des Wortes eine Kultur der Arbeit, ohne die das Werden Europas, sein Ethos und seine Weltgestaltung nicht zu denken sind. Zu diesem Ethos müsste freilich gehören, dass Arbeit und Geschichtsgestaltung des Menschen Mit-Arbeiten mit dem Schöpfer sein will und von diesem Mit her ihr Maß nimmt. Wo dieses Maß fehlt und der Mensch sich selber zum gottartigen Schöpfer erhebt, kann Weltgestaltung schnell zur Weltzerstörung werden.“
„Wir sind davon ausgegangen, dass die Grundhaltung der Mönche im Zusammenbruch alter Ordnungen und Gewissheiten das quaerere Deum war - sich auf die Suche machen nach Gott. Wir könnten sagen, dass dies die eigentlich philosophische Haltung ist: Über das Vorletzte hinauszuschauen und sich auf die Suche nach dem Letzten und Eigentlichen zu machen. …Das Suchen der Mönche trägt in gewisser Hinsicht schon ein Finden in sich. Deshalb muss es vorher schon, damit dieses Suchen möglich werde, eine erste Bewegung geben, die nicht nur den Willen zum Suchen weckt, sondern auch glaubhaft macht, dass in diesem Wort der Weg verborgen ist oder besser: dass in diesem Wort Gott sich selbst auf den Weg zu den Menschen begeben hat und daher Menschen auf ihm zu Gott kommen können….Damit sich ein Weg ins Innere des biblischen Wortes als Gotteswort öffne, muss dieses Wort selbst zunächst nach außen gesprochen werden. …In der Tat haben die Christen der werdenden Kirche ihre missionarische Verkündigung nicht als Propaganda aufgefasst, die dazu dienen sollte, ihre eigene Gruppe zu vergrößern, sondern als eine innere Notwendigkeit, die aus dem Wesen ihres Glaubens folgte: Der Gott, dem sie glaubten, war der Gott aller, der eine, wirkliche Gott, der sich in der Geschichte Israels und schließlich in seinem Sohn gezeigt und damit die Antwort gegeben hatte, die alle betraf und auf die alle Menschen im Innersten warten. Die Universalität Gottes und die Universalität der auf ihn hin offenen Vernunft ist für sie der Grund der Verkündigung und zugleich die Verpflichtung dazu. Für sie gehörte ihr Glaube nicht der kulturellen Gewohnheit zu, die je nach Völkern verschieden ist, sondern dem Bereich der Wahrheit, die alle gleichermaßen angeht. Das grundlegende Schema der christlichen Verkündigung "nach außen" - an die suchenden und fragenden Menschen - findet sich in der Rede des heiligen Paulus auf dem Areopag. ... Das Neue der christlichen Verkündigung ist, dass sie nun allen Völkern sagen darf: Er hat sich gezeigt. Er selbst. Und nun ist der Weg zu ihm offen. Die Neuheit der christlichen Verkündigung besteht in einem Faktum: Er hat sich gezeigt. …Freilich bedarf es immer der Demut der Vernunft, um es annehmen zu können; der Demut des Menschen, die der Demut Gottes antwortet.“
„Unsere heutige Situation ist von derjenigen in vieler Hinsicht verschieden, die Paulus in Athen vorfand, aber durch die Verschiedenheit hindurch ihr doch auch in vielem sehr verwandt. Unsere Städte sind nicht mehr mit Altären und mit Bildern vielfältiger Gottheiten angefüllt. Gott ist wirklich für viele der große Unbekannte geworden. Aber wie damals hinter den vielen Götterbildern die Frage nach dem unbekannten Gott verborgen und gegenwärtig war, so ist auch die gegenwärtige Abwesenheit Gottes im Stillen von der Frage nach ihm bedrängt. Quaerere Deum - Gott suchen und sich von ihm finden lassen, das ist heute nicht weniger notwendig denn in vergangenen Zeiten. Eine bloß positivistische Kultur, die die Frage nach Gott als unwissenschaftlich ins Subjektive abdrängen würde, wäre die Kapitulation der Vernunft, der Verzicht auf ihre höchsten Möglichkeitenund damit ein Absturz der Humanität, dessen Folgen nur schwerwiegend sein könnten. Das, was die Kultur Europas gegründet hat, die Suche nach Gott und die Bereitschaft, ihm zuzuhören, bleibt auch heute Grundlage wahrer Kultur“. (SL) (Fidesdienst, 15/09/2008)


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