EUROPA/RUSSLAND - „Wir müssen uns als katholische Gemeinde in Russland vor allem bewusst machen, dass wir das Geschenk des Glaubens empfangen haben und dies missionarisch umsetzen“ - Interview mit Erzbischof Paulo Pezzi von der Diözese von der Muttergottes in Moskau

Mittwoch, 9 Juli 2008

Vatikanstadt (Fidesdienst) – Erzbischof Paulo Pezzi wurde am 21. September 2007 zum Erzbischof der Diözese von der Muttergottes in Moskau ernannt. Am 29. Juni 2009 empfing er das Pallium. Der Fidesdienst sprach mit ihm über die soziale und religiöse Realität, in der er tätig ist, und über seine Erfahrungen in Russland.

Welche kirchliche Situation haben sie bei Ihrer Ankunft in Russland vorgefunden?
Das Geschenk und die Verantwortung gehen stets Hand in Hand, vor allem in meinem Leben, doch ich glaube, dass dies für alles und alle gilt; ein Geschenk ist vergeudet, wenn man nicht verantwortlich damit umgeht, egal ob es sich um eine Begabung, eine Gnade oder die Sprachgewandtheit geht, die Gott uns schenkt. In Wirklichkeit blüht ein Geschenk erst auf – und wir finden erst Gefallen daran – wenn wir verantwortlich damit umgehen. Dies war für mich so, deshalb empfinde ich die Verantwortung, die ich heute trage als eine Fortsetzung der Gnade in meinem Leben. Die Situation, die ich hier vorgefunden habe, kannte ich zum Teil schon, doch man betrachtet sie mit unterschiedlichen Augen, je nach der Verantwortlichkeit, die Gott uns in der Kirche überträgt, und dabei kommt es nicht auf eine zahlenmäßige Größe, sondern auf die Bedeutung für den eigenen Glauben an.
Wir müssen uns als katholische Gemeinde in Russland vor allem bewusst machen, dass wir das Geschenk des Glaubens empfangen haben und dies missionarisch umsetzen, wir müssen das Geschenk der Schönheit der Begegnung mit Christus und den Menschen, die wir sehen, weitergeben. Dies läst uns mit Mitgefühl und Aufmerksamkeit den Menschen gegenübertreten, denen wir begegnen ohne dass wir uns darum sorgen, die eigenen Reihen zu vergrößern und es lässt uns deshalb auch die orthodoxe Kirche und anderer Gemeinschaften, die es in meiner Diözese gibt, darunter zum Beispiel auch Lutheraner mit Dankbarkeit betrachten. Die soziale Situation, die ich vorgefunden habe, hat mir einen entscheidenden Faktor vor Augen geführt: die Menschen in Russland brauchen Gott und sind sich dessen mehr oder weniger bewusst. Dieses Bedürfnis ist sehr groß und alle brauchen Christus.

Mit welchen Probleme und Herausforderungen werden Katholiken in einem so komplexen Land konfrontiert?
Es geht darum, sich des eigenen Glaubens bewusst zu sein. Ich würde insbesondere die Glaubensbildung als Priorität bezeichnen, damit wir reif und verantwortlich im Glauben sind und vor das Wohl, für das Gemeinwohl der Gesellschaft, in der wir leben, Verantwortung übernehmen. Wir sollten den eigenen Glauben im sozialen, wirtschaftlichen, politischen Bereich und bei den zwischenmenschlichen Beziehungen ins Spiel bringen. Ein weiterer und nicht weniger wichtiger Aspekt ist der operative Bereich und der Beitrag, den wir leisten können, damit die Familien sich wieder konsolidieren. Ich glaube, dass ein Mensch auf gesunde Weise – und dies gilt für alle Gesichtspunkte, den menschlichen, geistlichen, psychologischen und physischen – nicht ohne ein stabiles Umfeld aufwachsen kann. Andernfalls wird er große Schwierigkeiten haben, die sich in seine alltäglichen Beziehungen und in seinem Leben niederschlagen: in diesem Sinn haben wir viel zu bieten.
An dritter Stelle scheint es mir wichtig, dass wir uns wieder der Bedeutung der karitativen Tätigkeit bewusst werden, des kostenlosen Engagements; es besteht die Gefahr, dass wir karitative Tätigkeit als etwas Professionelles betrachten, die dort zum Einsatz kommt, wo etwas fehlt, wohingegen wir das Karitative als etwas Alltägliches betrachten sollten, das vor allem dort erlebt wird, wo wir uns der Bedürfnisse der Mitmenschen annehmen, unserer Nachbarn, eines Arbeitskollegen oder eines Schulkameraden.

Welche Bedeutung haben Ökumenismus und interreligiöser Dialog in Ihrer Pastoral? Gibt es ein gemeinsames und einstimmiges Engagement der beiden Kirchen in diesem Sinn? Gibt es einen Dialog?
Ja es gibt einen Dialog und dies ist ein positiver Faktor; wenn man dialogiert, dann besteht immer die Möglichkeit den anderen kennen zu lernen und sich gegenseitig zu bereichern, vor allem, wenn man sich im ideologischen Sinn nicht als Alleineigentümer des Guten, der Wahrheit und der Vorgehensweise betrachtet. Deshalb freute es mich, dass es trotz aller Schwierigkeiten und gerade durch diese Schwierigkeiten Dialogbereitschaft gibt, die bestimmt gegenseitig ist. In meiner Pastoral hat der Dialog große Bedeutung: vor allem, weil das Streben nach Einheit und damit unter christlichen Gesichtspunkten das Streben nach der vollen Gemeinschaft unvermeidbar ist, es wäre, wie wenn man leben würde, ohne es wirklich zu erleben oder als ob man es als abstraktes Prinzip betrachtete. Der Mensch lebt de facto bewusst oder unbewusst im Bestreben nach Einheit. Unter christlichen Gesichtspunkten bedeutet dies, dass wir im Bewusstsein der Einheit in Christus leben und damit alles Mögliche tun, um dahin zu gelangen. Wenn wir dies nicht an die erste Stelle stellen, wenn wir dies nicht als Priorität erleben, dann würden wir das Christentum nicht leben.
Was können wir tun? Wenn wir von den Ergebnissen ausgehen, dann mag es wenig erscheinen, doch wir müssen von den Prinzipien ausgehen. Denn im Prinzip ist es möglich, und im Grunde geschieht dies auch, gemeinsam unter bestimmten Aspekten der christlichen Verkündigung zu handeln und das auch zu leben. Zum Beispiel können wir die Leidenschaft dafür, dass der Mensch Christus begegnet gemeinsam erleben. Es gibt auch Aspekte der Erziehung, bei denen wir uns begegnen: zum Beispiel der Wert der Familie, die gefördert werden muss, die wir bilden müssen und an die wir die christlichen Inhalte weitergeben müssen, die ihr Konsistenz geben. Schließlich können wir auch im erzieherischen und karitativen Bereich gemeinsam handeln, doch wir müssen sehr aufrichtig sein, was die Ziele anbelangt und wie wir diese erreichen wollen.

Der jüngste Besuch des Präsidenten des Päpstlichen Rates für die Evangelisierung der Völker, Kardinal Kasper, in der Russischen Föderation, war ein wichtiges Signal: welche Impulse hat dies in beiden Kirchen hinterlassen? Und was bedeutet dies für ihr persönliches Apostolat?
Der wichtigste Impuls für mich, aber ich denke das gilt auf für die Orthodoxen, war es zu sehen, das Kardinal Kasper wirklich an der Orthodoxie interessiert ist, so dass er auf sie zugeht, sich mit orthodoxen Jugendlichen und Vertretern der Hierarchie trifft und die orthodoxe Realität aus der nähe kennen lernen möchte.
Dies drängt mich dazu, es auch zu tun. Es hat mich auch beeindruckt, dass es dem Kardinal, obschon es sich um einen privaten Besuch handelte, gelungen ist, an Begegnungen in verschiedenen Bereichen teilzunehmen. Ein weiterer Aspekt, den ich für mich nutzen werde ist, dass man, wo dies möglich ist, den direkten Kontakt mit den Menschen sucht und versucht einen positiven Dialog auf den Weg zu bringen: der Kardinal erzählte mir von einem interessanten Gespräch mit orthodoxen Studenten, die ihm anspruchsvolle Fragen stellten und tatsächliches etwas über die katholische Kirche erfahren wollten.

Man hofft, dass eine Begegnung zwischen Papst Benedikt XVI. und Alexeji II. tatsächlich möglich sein wird, und es wird dafür im Bereich des Dialogs viel getan: läuft man damit nicht Gefahr, dass eine solche Begegnung „nur“ als ein spektakuläres Ereignis betrachtet wird?
Wir engagieren uns in diesem Sinn, und versuchen, dass die Begegnung nicht zum Medienereignis des Jahrhunderts wird, sondern wirklich Bedeutung hat, dass sie wirklich konstruktiv sein und ein Schritt hin zur vollen Gemeinschaft sein wird. Auf der anderen Seite, würde eine solche Begegnung ohne eine entsprechende Vorbereitung stattfinden, dann könnte sie den Weg erscheren und es wäre richtiger noch etwas abzuwarten. Wenn man sich mag, dann kann man auch auf den anderen warten.


Könnte man Ihrer Meinung nach dabei von gemeinsamen Eigenschaften ausgehen, wie zum Beispiel die Marienverehrung, die Christen und Orthodoxe teilen?
In den Beziehungen zu den Orthodoxen ist die Marienverehrung ein sehr wichtiger gemeinsamer Aspekt. Worauf wir achten müssen, und dies gilt vor allem für uns Katholiken, die wir in Russland leben, ist die Tatsache, dass wir aus einer bestimmten Form und Modalität der Verehrung nicht etwas machen, das sich gegen den andren wendet. Wir haben sowohl im Westen a la auch im Osten eine tiefe Verehrung, die vielfältige Formen annimmt; diese Modalitäten muss man in ihrem Ursprung erkennen. Es könnte banal erscheinen, doch für uns gehören Marienstatuen zur Marienverehrung.
Dies gibt es bei den Orthodoxen nicht, sondern man verehrt Ikonen. Dies heißt nicht, dass die einen nicht ihre Statuen und die anderen nicht ihre Ikonen verehren sollen, sondern man muss einander entgegenkommen … Und dies heißt, dass man die Leidenschaft des anderen für die Verehrung und das Gebet zu Gottesmutter kennen lernen sollte. Und es muss Menschen geben, die dazu bereit sind. Denn, wenn wir diese Sensibilität nicht haben, dann kann es leicht passieren, dass sich die Marienverehrung in etwas verwandelt, was sich gegen den andren wendet. Und dies wäre ganz falsch.

Erzbischof Pezzi, Sie sind ein Missionar, sie gehören zur Bruderschaft des heiligen Karl Borromäus: was bedeutet es als Missionar in Russland zu sein. Die Leidenschaft für diese Region – Russland, Sibirien – scheint sie seit Ihrer Studienzeit zu begleiten: gibt es dafür einen besonderen Grund?
Die missionarische Leidenschaft ist Teil des Wesens der Kirche als Ganze und des Christseins als solches. Jeder Getaufte ist Missionar und wenn wir nicht missionarisch sind, leben wir unsere Taufe nicht. In diesem Sinn ist die Mission das erleben des Geschenks der Taufe; wir könnten sagen, dass die Mission die Ausübung der Berufung ist, die Gott jedem Menschen gegeben hat. Für mich ist der Dialog sehr interessant, die es zwischen der Vorstellung von der Mission gibt, die sich in der lateinischen Tradition entwickelt hat, d. h. dass man durch das eigenen Leben, die Schönheit, die Wahrheit, die Gerechtigkeit und der Freude am Leben bringt, denen man in Christus begegnet und der typisch östlichen Vorstellung von der Mission durch die eigene Heiligkeit, die eigene Berufung.
Diese beiden Aspekte desselben Wegs, habe ich versucht in mein Leben aufzunehmen und sie wurden mir von meinen Lehrern vermittelt, von jenen Menschen, denen ich begegnet bin und die mir das Christentum als etwas zum Leben gehöriges erscheinen ließen, als etwas Faszinierendes und Interessantes. Deshalb bin ich an einem gewissen Punkt in meinem Leben erneut mit dieser Leidenschaft zum Christentum zurückgekehrt: hier befindet sich der Ursprung meiner missionarischen Leidenschaft. Meine Leidenschaft für Russland ist hingegen eher zufällig: ich hatte nie darüber nachgedacht oder viel über Russland gelesen. Es gibt Zeichen in meinem Leben, die mich dahin geführt haben: zum Beispiel eine Ikone von Salvatore von Rublew, die mein Leben seit meiner Neubegegnung mit dem Christentum. Auch bestimmte religiöse Literatur über die sowjetische Zeit, die ich in meiner Jugend gelesen haben, haben mich mit der darin geschilderten lebendigen Art und Weise des Glaubenslebens unter schwierigen Bedingungen beeindruckt. Diese Zeichen hätten jedoch nicht viel bewirkt, wenn man mich nicht gefragt hätte, ob ich bereit wäre, nach Sibirien und dann nach Russland zu gehen, wo man Priester brauchte.
Ich habe immer ja gesagt, denn in meine Leben habe ich immer ja gesagt, denn ich kann nicht viel anderes. Wichtig ist, dass mein weiß zu wem man ja sagt, dann kann man mit dieser Antwort nichts falsch machen. Und dies hat dazu geführt, dass in mir eine Leidenschaft für Russland entstanden ist, für dieses Land, seine Menschen, diese Religiosität, dem Christentum in der Orthodoxie, den Gesang, die Musik, die Literatur dieses Landes und dieser Menschen. (PC) (Fidesdienst, 09/07/2008)


Teilen: