Europa/Italien - „Es muss ein Wandel in der Mentalität stattfinden, damit immer noch bestehende Vorurteile gegenüber Leprakranken abgebaut werden können“, sagt Dr. Deepak im Gespräch mit dem Fidesdienst

Dienstag, 27 Januar 2004

Rom (Fidesdienst) – Dr. Sunil Deepak wurde in Lucknow (Indien) geboren und promovierte im Fach Medizin und Chirurgie an der Universität New Delhi (Indien). Heute ist er Leiter der medizinisch-wissenschaftlichen Abteilung der AIFO (Associazione Italiana Amici die Raoul Follereau), Vorsitzender der ILEP (Internationaler Verband zur Bekämpfung von Lepra mit Sitz in London), Referent der Charta der Völker zur Gesundheit in Italien und Mitglied des Italienischen Gesundheitsobservatoriums. Von 1988 bis 2001 nahm er an rund 20 Missionen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und anderer Hilfswerke der Vereinten Nationen in Uganda, Guinea Bissau, China, Indien, Eritrea und Brasilien teil. Seit 1996 ist er auch Berater der Abteilung für Behinderungen und Rehabilitation der WHO und betreute in dieser Eigenschaft insbesondere zwei gezielte Initiativen: ein Rehabilitations-Projekt für Behinderte in den Slums in Indien, Indonesien, Ägypten, Kenia, Brasilien, Bolivien und den Philippinen; die Organisation von Workshops zur Schaffung von Rehabilitations-Einrichtungen in Kambodscha, Nepal, Libanon, Nicaragua und Benin.
Fides sprach mit Dr. Deepak am Tag nach dem 51. Welttag der Leprakranken. Es folgt der Wortlaut des Interviews:

Fidesdienst: Sie sind seit Jahren im Kampf gegen Lepra engagiert. Wie sieht Ihre Arbeit aus?
Sr. Sunil Deepak: Gegenwärtig bin ich Leiter der medizinisch-wissenschaftlichen Abteilung des AIFO und meine Tätigkeit besteht vorwiegend darin, sicherzustellen, dass unsere Projekte auf dem aktuellen wissenschaftlichen Stand sind und dass die Menschen, die in unseren Zentren arbeiten, also Beamte der jeweiligen Regierungen, Missionare oder Laien eine angemessene medizinische Ausbildung bekommen. Dabei arbeiten wir mit verschiedenen internationalen Ausbildungszentren zusammen, die wir auch finanziell unterstützen. Im Juni letzten Jahres haben wir in Zusammenarbeit mit verschiedenen internationalen Organisationen (WHO, ILO, FAO) auch in Bologna einen Fortbildungskurs organisiert, an dem Interessierte aus verschiedenen Ländern teilgenommen haben.
Mein Tätigkeitsbereich bei der AIFO beinhaltet jedoch auch die Auswertung von gesammelten Daten. Diese Daten zur aktuellen Situation werden in regelmäßigen Abständen erhoben, dabei arbeiten wir mit unabhängigen Beobachtern zusammen, was verhindern soll, das bestimmte Daten nur entstehen, weil die Projekte von der AIFO gefördert werden.
Ein weiterer wichtiger Bereich ist die wissenschaftliche Forschung. Ein einzelnes Forschungszentrum kann zwar jeweils anhand der örtlichen Gegebenheiten wissenschaftliche Arbeiten durchführen, doch als internationaler Verband mit Kontakten zu allen Kontinenten und zu vielen Menschen, Regierungen, Missionaren und freiwilligen Helfern vor Ort, können wir verschiedene Projekte, nach demselben Protokoll in verschiedenen Ländern durchführen. Damit können wichtige Ergebnisse erzielt werden, die als Grundlage für internationale Richtlinien dienen, die sich nicht nur auf die Gegebenheiten in einem bestimmten Land beziehen, sondern von internationaler Tragweite sind.
Als Vorsitzender des ILEP koordiniere ich die Arbeit aller Organisationen, die wirtschaftliche und technische Unterstützung, medizinische Gerät, Personal und Ärzte zur Verfügung stellen, damit eine gleichmäßige Verteilung gewährleistet ist. Wir versuchen auch jene Gebiete auf der ganzen Welt zu erfassen, in denen es Lepra gibt, wo aber noch keine Projekte durchgeführt werden, um auch dort entsprechende Programme in die Wege zu leiten.
Ich bin auch als Berater bei der Abteilung für Behinderungen und Rehabilitation der Weltgesundheitsorganisation tätig. Dort befasse ich mich vor allem mit der Förderung von Programmen in ländlichen Gebieten, in denen es keine Gesundheitseinrichtungen oder Rehabilitationszentren gibt.
Bei der AIFO versuchen wir auch so genannte integrierte Projekte durchzuführen, die über die Leprabekämpfung im engeren Sinn hinausgehen. Denn in den Gebieten, in denen wir Leprakranke betreuen, gibt es oft keine Einrichtungen für die Basisversorgung im Gesundheitsbereich, weshalb es uns nur richtig erscheint, dass Einrichtungen, die Medikamente an Leprakranke verabreichen auch für andere nützlich sind, für eine Basisversorgung brauchen.

Fidesdienst: Insgesamt 14% der Leprakranken sind Kinder. Welche Maßnahmen werden für sie ergriffen und wie gelingt es, sie wieder in die Gesellschaft einzugliedern?
Dr. Sunil Deepak: Als wir noch Leprastationen hatten, war jeweils auch ein Waisenhaus angeschlossen, weil es wichtig war, die Kinder von ihren leprakranken Eltern zu trennen und sie an einem sicheren Ort unterzubringen, wo sie sich nicht anstecken konnten. Doch diese Leprastationen gibt es seit etwa 30 Jahren nicht mehr, weil es mit Hilfe von Medikamenten gelingt viele Kranke innerhalb weniger Tage zu heilen, weshalb die Kinder auch nicht mehr von den Eltern getrennt werden müssen. Was vorbeugende Maßnahmen anbelangt, so wurde festgestellt, dass die gegen Tuberkulose verabreichte BCG-Impfung bei Kindern auch einen gewissen Schutz vor Lepra bietet. Gegenwärtig ist dies die einzige zur Verfügung stehende medizinische Vorbeugemaßnahme für Kinder. Doch es sollten auch zahlreiche andere Faktoren berücksichtigt werden, die die Gesundheit von Kindern beeinträchtigen kann, wie zum Beispiel Ernährung, Hygiene und Bildung. Viele Kinder dürfen nicht mehr zur Schule gehen, nachdem sie an Lepra erkranken. Deshalb sollten Lehrer die Kinder und ihre Eltern entsprechend informieren.

Fidesdienst: Sind Sie mit den Ergebnissen des Welttags der Leprakranken zufrieden?
Dr. Sunil Deepak: Ich bin sehr zufrieden, doch ich weiß sehr wohl, dass Lepra nicht die einzige Krankheit, die es auf der Welt gibt und das viele andere Krankheiten weiterhin existieren obwohl wir die Mittel haben, um sie zu bekämpfen. Ich möchte nur an die zehn Millionen Kinder erinnern, die jedes Jahr sterben, und an in diesem Zusammenhang auch an die Kindersterblichkeit in Sierra Leone, wo 327 von 1000 Kindern sterben, bevor sie das fünfte Lebensjahr erreichen. Das heißt 32% der Kinder sterben bevor sie fünf Jahre alt werden.
Dies sind verheerende Daten und deshalb dürfen wir uns nicht nur auf die Bekämpfung von Lepra beschränken. Meiner Ansicht nach ist Lepra nur ein Beispiel für zahlreiche Situationen, in denen es weiterhin Ungerechtigkeit, Krieg und Armut gibt, weshalb wir uns auch darum bemühen, ganzheitliche Projekte durchzuführen.

Fidesdienst: Wie könnte man Ihrer Meinung nach das Interesse der Menschen für diese Krankheit das ganze Jahr über wach halten?
Dr. Sunil Deepak: Die AIFO ist dafür gut ausgerüstet, denn wir haben nicht nur unseren Hauptsitz in Bologna sondern zahlreiche 60 Niederlassungen in ganz Italien, die das ganze Jahr über zahlreiche Initiativen veranstalten, wie zum Beispiel die Charta der Völker zur Gesundheit. Es handelt sich dabei um Mitarbeiter und ganze Gruppen aus über 100 Ländern, die sich für zahlreiche Aktivitäten mobilisieren und sich nicht nur auf die Bereitstellung von Medikamenten beschränken sondern auch ganze Entwicklungsstrategien erarbeiten. Was die 10 Millionen Kinder anbelangt, die jedes Jahr sterben, so ist bei 23% Durchfall die Todesursache. Dazu kommt es nicht, weil es keine Medikamente gibt sondern weil sie keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben!

Fidesdienst: An Lepra stirbt man nicht …
Dr. Sunil Deepak: Glücklicherweise nein. Doch ein weiterhin bestehendes Problem ist die Ausgrenzung der Leprakranken. Oft verlassen die Kranken ihre Familien, um zu verhindern, dass die Kinder Opfer von Vorurteilen werden. Ein Hauptziel ist in diesem Sinn ein Wandel der Mentalität.
(AP) (Fidesdienst, 27/1/2004 – 102 Zeilen, 1.093Worte)


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